Von Geburt an kann Luka nicht richtig hören

Luka aus Kassel ist heute 3 Jahre alt und trägt ein Cochlea Implantat. Aufgefallen waren seine ersten Probleme mit dem Hören bereits beim Neugeborenen-Screening an seinem dritten Lebenstag. Der Weg, der seit dem folgen sollte, war für seine Eltern und seine 6-jährige Schwester ein besonderer. „Es ist als Elternteil eine Herausforderung, stellvertretend für das Kind die Entscheidung zu einem Implantat zu treffen“, betont Jenny Marz, Lukas Mutter.

Geboren wird Luka im März 2020. Direkt beim Hörscreening fällt auf, dass er auf dem rechten Ohr schlechter hört. „Uns wurde aber erklärt, dass das bei Neugeborenen oft der Fall sein kann, da sich im Ohr noch Reste der Käseschmiere oder Fruchtwasser befinden können“, erinnert sich Jenny Marz. Daher wird die Familie an einen Kinderarzt überwiesen, der in den ersten Lebenswochen regelmäßig das Gehör überprüft: Doch auch hier zeigt sich bei Luka keine Verbesserung, sodass er an einen Spezialisten, einen sogenannten Pädaudiologen, empfohlen wird. „Der Arzt konnte die Probleme natürlich ebenfalls feststellen und gemeinsam entschieden wir uns dann zu einer BERA-Untersuchung“, so Jenny Marz. „Bei einer BERA wird die Hörfähigkeit objektiv überprüft. Das heißt, dass dem Ohr per Kopfhörer ein akustisches Signal geboten wird, während Elektroden so auf dem Kopf angebracht werden, dass diese die elektrischen Signale messen können. Dabei muss der Patient schlafen“, erklärt Jessica Schneider, Audiologin am Klinikum Bad Hersfeld. Besonders bei Kleinkindern wird die Untersuchung daher in Vollnarkose durchgeführt. Das Ergebnis: Luka leidet rechts unter einer hochgradigen Schwerhörigkeit. Das linke Ohr ist zu diesem Zeitpunkt nicht betroffen. „Ja, das war eine wirklich harte Diagnose und ein Moment, wo man als Elternteil erst einmal mit sich selbst kämpfen muss. Oft hatten wir gerade im Alltag das Gefühl, dass er doch eigentlich gut hören kann. Hier konnten uns die Ärzte aber erklären, dass sein linkes Ohr aktuell sozusagen die Aufgaben des rechten Ohres mit übernimmt. Außerdem war nun klar, dass wir etwas machen müssen“, so Jenny Marz.

Bei einem Hörakustiker erhält Luka dann sein erstes Hörgerät: Ein kleines Gerät hinter dem Ohr verstärkt die Geräusche der Umwelt und leitet sie so in das Ohr. Zeitgleich nimmt die Familie das Angebot der Frühförderung in Anspruch. „Je älter Luka wurde, desto schwieriger wurde es, ihn vom Tragen des Hörgeräts zu überzeugen. Wir wollten ihm da auch einen gewissen Freiraum geben, sodass er es häufig nur noch während der Zeit morgens im Kindergarten getragen und schon auf der Heimfahrt ausgezogen hat“, erinnert sich Jenny Marz. Das Problem dabei: Luka muss anfangen, Sprache aufzunehmen und selbst richtig zu sprechen. Bis zu ihrem 4. Lebensjahr müssen Kinder ein gewisses Maß an Sprachfähigkeit aufgebaut haben, da dies der zeitliche Korridor ist, in dem Sprache erlernt wird. „Der Spracherwerb nach dem 4. Lebensjahr ist deutlich schwieriger und verlangt dann auch aus ärztlicher bzw. pädagogischer Sicht eine andere Herangehensweise. Deshalb ist es eine maßgebliche Regel, dass Kinder mit Schwerhörigkeit bis zu ihrem 1. Lebensjahr gut versorgt sind“, erklärt Jessica Schneider. Aus diesem Grund ist das Hören ein zentraler Bestandteil des Neugeborenen-Screenings, das im Klinikum Bad Hersfeld das Team der HNO-Abteilung durchführt.

„Die Situation mit dem Hörgerät war nicht optimal. Luka hat es nicht gerne getragen und sein Sprachvermögen hing deutlich zurück“, erklärt Jenny Marz die zweite BERA-Untersuchung als Luka zwei Jahre alt war. Erneut ist die Diagnose nicht positiv: Lukas Hörvermögen hat sich weiter verschlechtert, sodass nun auch das linke Ohr an einer mittelgradigen Schwerhörigkeit leidet. Seine Mutter erinnert sich an den Moment: „Ja das war erneut ein Schlag ins Gesicht, zumal wir uns erst mit der Situation angefreundet und auch eingefunden hatten. Luka hat regelmäßige Frühförderung erhalten sowie einen Integrationsplatz in einer super Gruppe.“ Die Empfehlung der Ärzte vor Ort ist die Implantation eines Cochlea Implantats. Jenny Marz erster Gedanke ist jedoch ein klares „Nein. Die bisherigen Untersuchungen und auch das Hörgerät waren keine Entscheidung, wie die, ein Implantat in den Kopf meines Sohnes einsetzen zu lassen, was dort auch sein Leben lang bleiben wird.“ Gemeinsam treffen die Eltern die Entscheidung, nicht überhastet zu handeln und geben sich einige Wochen Bedenkzeit. „Und Gott sei Dank leben wir in Zeiten der sozialen Medien und des Internets“, lacht Jenny Marz, „Ich habe mich erst einmal in aller Ruhe informiert und auch andere betroffene Familien gefunden, die teilweise in Facebook oder anderen Netzwerken Gruppen zum Austausch gebildet haben. Gerade das Gefühl, dass man nicht alleine ist, ist super wichtig.“ Bei ihren Recherchen und im Gespräch mit der Frühförderung wird sie auf die HNO-Abteilung in Bad Hersfeld aufmerksam und vereinbart kurzerhand einen Termin für eine Zweitmeinung.

Für diese Zweitmeinung müssen Chefarzt Dr. Peter Issing und sein Team erneut eine BERA-Untersuchung durchführen. „Außerdem haben wir uns dazu entscheiden, da Luka ja eh bereits in Narkose war, noch weitere Untersuchungen wie ein CT durchzuführen“, so Jessica Schneider. Damit kann das Hersfelder Team die Diagnose bestätigen: Die Hörschnecke, in der sich die feinen Härchen befinden, ist bei Luka nicht voll funktionsfähig, der Hörnerv wird nicht ausreichend gereizt. Auch sie empfehlen den Einsatz eines Cochlea Implantats. „Was dann folgte, war aber anders als bei der ersten Aufklärung in einem anderen Krankenhaus: Frau Schneider hat sich super viel Zeit genommen und mit uns den Eingriff sowie die verschiedenen Modelle durchgesprochen“, betont Jenny Marz. Entgegen ihrer ersten Sorge, konnte sie nun besser greifen, dass der Einsatz nicht etwa in den Kopf passiert und eine invasive Operation ist, sondern dass nur über einen sehr kleinen Schnitt das Implantat unter die Haut und in das Ohr geführt wird. Außerdem hat Jessica Schneider ein echtes „Ass im Ärmel“: Einer ihrer Kollegen, Dr. Konstantin Heckschen, hat selbst ein Cochlea Implantat. Kurzerhand kommt er ins Gespräch dazu und stellt sich den Fragen der Familie. „Und das war ein besonderer Moment für mich, einfach weil ich dachte – na klar, Luka kann mit Implantat alles ganz normal machen, er kann sogar Arzt werden“, berichtet Jenny Marz mit einem Lächeln. Nach kurzer Bedenkzeit folgt die Entscheidung zu einem Cochlea Implantat – mit Eingriff im Klinikum Bad Hersfeld.

Die Operation im Januar 2023 führen Prof. Dr. Issing und Jessica Schneider zusammen durch. „Tatsächlich arbeiten wir bei der Implantation eines Cochlea Implantats immer bereits im OP zusammen. Nachdem der Arzt das Implantat gesetzt hat, kann die Audiologin, in diesem Fall Jessica Schneider, direkt dessen Funktionstüchtigkeit messen“, erläutert Prof. Issing. Nach der Operation, erneut unter Vollnarkose, ist Luka bereits nachmittags wieder fit und flitzt über die Station. Seine Eltern erinnern sich noch gut an die Erleichterung, die dies bei ihnen beiden hervorgerufen hat: „Die Tage des Eingriffs können wir tatsächlich als rundum positiv beschreiben. Das gesamte Team aus Ärzten und Pflegefachkräften hat sich toll um uns gekümmert – sowohl bei der Versorgung als auch der seelischen Betreuung kann man sagen.“ Nur drei Tage nach dem Eingriff können Vater und Sohn das Krankenhaus wieder verlassen. Entgegen der Ankündigung, dass leichte Schmerzen, Schwindel oder auch Kopfschmerzen auftreten können, hat Luka lediglich an einem Tag leichte Gleichgewichtsprobleme.

Für wie wichtig sich die Zusammenarbeit zwischen Operateur und Audiologe rausstellt, bemerkt die Familie beim ersten Anpassungstermin für das Implantat rund einen Monat später. Dabei wird der Prozessor zum ersten Mal angebracht und Einstellungen vorgenommen. Leider hat Luka an diesem Tag keine Lust darauf und stellt sich stur. Für Jessica Schneider kein Problem, da sie die Werte übernehmen kann, die sie unmittelbar während der Operation bereits ausgelesen hatte. „Damit hatten wir so und so einen guten Anfangswert, den wir in weiteren Terminen nachbessern können“, so Schneider.

Sein neues „Hörgerät“ trägt Luka nun rund 8 Stunden jeden Tag – und das von sich aus. „Tatsächlich zieht er es von alleine an und möchte es fast gar nicht ablegen. Gerade als Elternteil ist es fast gar nicht zu beschreiben, wie positiv das ist und wie sehr es einen beruhigt und in der getroffenen Entscheidung bestätigt“, betont Jenny Marz. Dem stimmt Jessica Schneider zu, die in Lukas Verhalten erkennt, dass sein Hörvermögen durch das neue Implantat besser geworden ist – und der Junge das genießt und nicht ablegen möchte. „Außerdem haben wir im Internet bunte Aufkleber dafür gefunden mit Dinosauriern, das ist natürlich auch cool“, freut sich seine Mutter.

Gemeinsam mit der Frühförderung arbeitet die Familie nun intensiv am Sprachverständnis des 3-Jährigen und „übt“ verschiedene Geräuschsituationen oder auch Musik mit ihm. Dabei macht er große Fortschritte und erweitert seinen Wortschatz. Auch in der Kindergartengruppe hat er neue Freunde gefunden und traut sich viel mehr, andere anzusprechen und in Spielsituationen einzusteigen. Das bemerkt auch seine Familie: „Er ist insgesamt viel zufriedener geworden und hat weniger Wutanfälle. Ich denke er merkt selbst, dass er nun besser verstanden wird und kann auch andere besser verstehen. Für uns war das Cochlea Implantat im Endeffekt die beste Entscheidung für unser Kind.“

Lukas Mutter setzt sich heute ganz bewusst für den Umgang mit Lukas Behinderung ein. „Ja es ist eine Behinderung und es benötigt als Elternteil Zeit, das aussprechen zu können und damit im Alltag klarzukommen. Trotzdem muss ich aber Luka nicht immer als den vorstellen, der eine Behinderung hat“, so Jenny Marz. Wer sie auf das Gerät an Lukas Kopf anspreche, dem erzähle sie gerne von ihrem Sohn und seiner Behinderung, stelle diese aber nicht in den Vordergrund: „Mein Kind ist ganz selbstverständlich mehr als nur seine Schwerhörigkeit. Besonders jetzt mit dem Implantat geht er immer mehr ganz normal durchs Leben.“