Migräne bei Kindern und Jugendlichen

Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter sind laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) einer der häufigsten Gründe, warum Kinder und Jugendliche einem Arzt vorgestellt werden. Wir haben mit Schmerztherapeut Dr. Albrecht Bästlein vom Klinikum Hersfeld-Rotenburg über das Thema gesprochen. Die Behandlung von Kopfschmerz- und Migräneerkrankungen bei Erwachsenen und Kindern gehört zu seinen Schwerpunkten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:

Was sind Kopfschmerzen und wann spricht man von Migräne?
Die internationale Kopfschmerzklassifikation (ICHD 3) unterscheidet einige hundert Arten von Kopfschmerzen. Die häufigsten und auch bekanntesten sind dabei Spannungskopfschmerz und Migräne. Der Spannungskopfschmerz zeichnet sich laut DMKG durch gleichmäßig drückende Schmerzen aus. „Sie fühlen sich oft so an, als habe man einen zu engen Hut auf oder als sei der Kopf in eine Schraubzwinge gespannt“, heißt es dazu. Die Schmerzen wechseln oft in Dauer und Intensität und sie verstärken sich nicht durch körperliche Aktivitäten. Ein Spaziergang beispielsweise kann sich positiv auswirken. Bei der Migräne hingegen verstärkt Bewegung die Schmerzen noch, die oft heftig, pulsierend oder einseitig sind. Charakteristisch sind dabei schwere Begleitsymptome wie Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit, ähnlich wie bei einer Hirnhautentzündung, so Dr. Bästlein. „Die Betroffenen fühlen sich richtig krank“, sagt der Facharzt. Eine Migräne hat laut Bästlein ein klares zeitliches Muster mit einer Dauer von mindestens vier Stunden bis maximal drei Tagen. Viele Patienten spürten den Beginn einer Migräne im Übrigen bereits vorher, zum Beispiel durch Heißhunger auf Süßes, Müdigkeit oder besonders aufgedrehte Stimmung. Etwa 20 Prozent der Betroffenen kennen auch neurologische Störungen wie Sehstörungen oder Taubheitsgefühle zu Beginn einer Attacke. „Solche ‘Auren’ sind typisch für Migräne“, weiß der Experte.

Welche Ursache haben Spannungskopfschmerzen und Migräne?
Kopfschmerzen können ganz verschiedene Ursachen haben. Wenn andere Krankheiten wie Entzündungen, hoher Blutdruck oder Augenkrankheiten Kopfschmerzen auslösen, spricht man von sekundären Kopfschmerzen. Dann steht die Behandlung der Grunderkrankung an erster Stelle. Bei primären Kopfschmerzen findet man dagegen gesunde Verhältnisse in Gehirn und Kopf. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen erfolgt dann die Kopfschmerzdiagnose allein anhand der Beschreibung. „Sehen“ kann man Kopfschmerzen zum Beispiel auch mit der Magnetresonanztomografie (MRT) nicht. Bei Migräne ist inzwischen auch eine genetische Veranlagung bekannt, wobei diese nicht festlegt, ob oder wie schwer die Migräne beim Einzelnen auftritt. Dr. Bästlein spricht dann von inneren und äußeren Stressfaktoren als Auslöser für diese Kopfschmerzen. Störungen im Biorythmus, etwa durch zu wenig Schlaf oder Hormonschwankungen, können Kopfschmerzen und Migräne ebenso auslösen wie Stress am Arbeitsplatz oder im Alltag, eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme oder zu wenig Sport. Weil die Ursachen beziehungsweise Auslöser nicht nur für die Diagnose sondern auch für die Behandlung wichtig sind, wertet der Schmerztherapeut mit seinen Patienten ein sogenanntes Kopfschmerztagebuch aus, um Regelmäßigkeiten zu entdecken.

Ab welchem Alter treten Kopfschmerzen auf, und woran merken Eltern von Kleinkindern, dass diese Kopfschmerzen haben?
Schon Kleinkinder können Kopfschmerzen haben, sagt Dr. Bästlein. Problematisch ist natürlich, dass sich die Jüngsten eben noch nicht eindeutig mitteilen können. Migräne tritt häufig erst im Jugendalter auf, aber auch Kinder können schon unter Migräne leiden. Mitunter äußert sich diese bei Kleinkindern noch ohne Kopfschmerzen, berichtet der Facharzt, sondern zunächst lediglich über Symptome wie Übelkeit oder Schwindel. „Die Kinder fühlen sich für ein paar Stunden krank, ohne dass beispielsweise ein Virus Schuld ist, und erholen sich dann schnell wieder“, erklärt Dr. Bästlein. Generell nehmen Kopfschmerzerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen laut Dr. Bästlein zu, der auf entsprechende Studien verweist. Etwa 75 Prozent der 15 bis 17-Jährigen hätten demnach mindestens an einem Tag im Monat Kopfschmerzen. „Früher waren es deutlich weniger.“

Wann sollten Eltern mit betroffenen Kindern den Arzt aufsuchen?
Ihr Kind einem Arzt vorstellen sollten Eltern zum Einen bei akuten und besonders starken Schmerzen oder wenn Kopfschmerzen wiederholt auftreten. Erster Ansprechpartner ist in der Regel der Kinderarzt, der organische Ursachen ausschließen kann wie Sehfehler, Eisenmangel oder Zähneknirschen. Bei Bedarf kann der Kinderarzt an einen Facharzt verweisen. Dazu zählen Schmerztherapeuten wie Dr. Bästlein, wobei nicht alle auch auf Kinder spezialisiert sind. In Deutschland gibt es zwei große Kopfschmerzkliniken, in Kiel und Königstein, die jedoch nur Erwachsene aufnehmen. Ein Kinderschmerzzentrum für Fälle, in denen eine ambulante Behandlung nicht ausreicht, gibt es in Datteln. Das Thema Kopfschmerzen wird laut Dr. Bästlein intensiv erforscht, aber nur von wenigen, spezialisierten Forschergruppen. Als Hauptaufgaben von Schmerztherapeuten betrachtet der Mediziner neben der exakten Kopfschmerzdiagnose und einer gezielten Behandlung vor allem die Aufklärung.

Welche Behandlungs-/ Therapiemöglichkeiten gibt es?
Die Behandlung richtet sich in erster Linie nach der Art des Kopfschmerzes und kann individuell verschieden sein. Sind äußere Stressfaktoren Schuld am Schmerz, kann es schon reichen, den Lebensstil anzupassen und ein entsprechendes Stressmanagement zu vermitteln und im Alltag anzuwenden. Von den gängigen Entspannungstechniken sei vor allem die progressive Muskelentspannung bei Kindern oft besonders gut einsetzbar, da diese sich mehr als Erwachsene zum Beispiel auf „Fantasiereisen“ einließen und auch lernfähiger seien. Mitunter können auch Physiotherapie, Osteopathie oder Akupunktur positive Wirkung haben. Bei starken und/oder sehr häufigen Schmerzen geht es kaum ohne Medikamente. Generell plädiert Dr. Bästlein aber gerade bei Kindern und Jugendlichen für einen restriktiven Einsatz, da ein Übergebrauch genau den gegenteiligen Effekt haben und sogar zu einer Verschlimmerung der Kopfschmerzen führen kann. Immer beachtet werden sollten der Beipackzettel und die Dosierung, die sich nach Alter und Gewicht richtet! Aspirin sollte bei Kindern übrigens nicht verwendet werden, da es laut Dr. Bästlein oft Allergien auslöst. Spezielle Migräne-Medikamente, so genannte Triptane, gibt es bereits für Kinder ab zwölf Jahren, allerdings sei die Wirksamkeit aus ungeklärten Gründen bei Erwachsenen in der Regel höher, so der Schmerztherapeut.

Welche Folgen können Kopfschmerzen haben?
Bei Kindern und Jugendlichen können chronische Schmerzen zum Leistungsabfall und Fehltagen in der Schule führen, auch soziale Ausgrenzung ist möglich, wenn die Betroffenen beim Spielen, im Verein etc. regelmäßig ausfallen. Bei schwer betroffenen Erwachsenen kann Migräne sogar Berufsunfähigkeit zur Folge haben.

ZUR PERSON
Dr. Albrecht Bästlein (55) ist Facharzt für Anästhesiologie, spezielle Schmerztherapie und Akupunktur. Seit dem 1. Oktober ist der Schmerztherapeut im MVZ am Klinikum Hersfeld-Rotenburg. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Behandlung von Kopfschmerz- und Migräneerkrankungen bei Erwachsenen und Kindern. Bästlein ist in Trier geboren und in Berlin und Husum aufgewachsen. Studiert hat er in Berlin, Hamburg und Kiel. 1997 war der Mediziner einer der ersten niedergelassenen Schmerztherapeuten in Niedersachsen. Als Hausarzt und Kopfschmerzspezialist war Bästlein auch schon am Polarkreis und in Lillehammer (Norwegen) tätig. Mit seiner Familie lebt er inzwischen in Bad Hersfeld. Bästlein ist verheiratet und hat zwei Kinder. In seiner Freizeit geht er gerne mit seinen Hunden spazieren und er mag Fotografie.(Foto,Text: Nadine Maaz)

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 20.03.2019