Geburt mit Geduld und Zeit

Kaiserschnittrate bleibt hoch

Auch im Landkreis wird ein Drittel der Babys im OP geboren
Eine Trendwende ist nicht in Sicht: Nach wie vor liegt die Kaiserschnittrate bundesweit bei 30,5 Prozent, im Land Hessen bei 32,3 Prozent (2017). Im Klinikum Bad Hersfeld, der einzigen Klinik im Kreis mit Entbindungsstation, ist Leitende Hebamme Sabine Jäger froh, dass man im vergangenen Jahr erstmals seit etwa fünf Jahren wieder knapp unter der 30-Prozent-Marke (29,5) geblieben ist.

Ein Drittel Kaiserschnitte unter den Geburten – das gilt international als viel zu hoch. Laut Weltgesundheitsorganisation ist lediglich eine Kaiserschnittrate von bis zu zehn Prozent medizinisch notwendig. Auch die SPD-Landtagsfraktion sieht Handlungsbedarf: Sie fordert vom Sozialministerium ein gemeinsames Programm mit den Hebammenverbänden, um die natürlichen Geburten ohne chirurgische Eingriffe zu fördern – so wie es in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen gemacht werde.

Woran liegt es, dass die Zahl der Kaiserschnitte so hoch ist?
Neben den medizinisch tatsächlich notwendigen Eingriffen gibt es auch Kaiserschnitte, die auf Wunsch der werdenden Mutter vorgenommen werden – sei es aus Angst vor dem Geburtsschmerz, sei es aus  pragmatischen, beruflichen Gründen, bei denen Frauen glauben, dass sie diese Art der Entbindung leichter in ihren Alltag integrieren können. Auch gibt es Kritiker, die glauben, dass Kaiserschnitte in Kliniken bevorzugt würden, weil sie planbar und finanziell lukrativer seien als die Rundumbetreuung einer Schwangeren im oft langwierigen Geburtsvorgang. Sabine Jäger, Leitende Hebamme im Klinikum Bad Hersfeld nennt außerdem die gestiegene Klagebereitschaft vor Gericht in der Gesellschaft als wesentlichen Grund: Mit einem Kaiserschnitt gehe man in nicht ganz eindeutigen Indikationen eher auf Nummer sicher, auch in den Fällen, in denen eine natürliche Geburt noch machbar wäre.

22 Hebammen im Klinikum auf 9,4 Stellen
Das Klinikum Bad Hersfeld beschäftigt 22 Hebammen fest angestellt – drei mehr als noch 2014. Allerdings teilen sich die Hebammen nur 9,4 Stellen. Sie arbeiten im Schichtdienst, Früh- und Spätschicht sind mit jeweils zwei Hebammen besetzt, die Nachtschicht mit einer. Dazu gibt es eine Rufbereitschaft. Auch einen sogenannten „Mitteldienst“ zwischen den Schichten gibt es, bei dem eine Hebamme auf der Entbindungsstation, nur bei Bedarf im Kreißsaal arbeitet.

Hebammen fordern besseren Stellenschlüssel

Eine Geburt kann viele Stunden dauern. Sie von Beginn an zu begleiten, die werdende Mutter vielleicht schon aus dem Geburtsvorbereitungskurs zu kennen und bei ihr zu bleiben, bis das Kind schließlich da ist – das ist nach Ansicht von Elisabeth Hillecke die optimale Betreuungssituation. Die Rotenburger Hebamme ist seit fast 40 Jahren tätig und glaubt, dass ein höherer Stellenschlüssel für Hebammen auf  Entbindungsstationen viel beitragen könnte zu einer höheren Zahl von natürlichen Geburten. „Eine Frau braucht viel Geduld und Zuwendung bei der Entbindung.“ Hillecke und auch ihre Berufskolleginnen vom Deutschen Hebammenverband plädieren für die 1:1-Betreuung, das heißt, eine Hebamme betreut eine Gebärende. Genügend Zeit für eine individuelle Betreuung könne die Angst vor Schmerzen und Kontrollverlust und damit auch die hohe Kaiserschnittrate senken. Im Klinikalltag ist diese Betreuung allerdings nicht häufig gegeben. Verändert haben sich aber auch Frauen: „Die Schmerztoleranz ist geringer geworden“, sagt die Leitende Hebamme im Klinikum Bad Hersfeld, Sabine Jäger. Das bestätigt indirekt Elisabeth Hillecke: „Die Bereitschaft, etwas auszuhalten, ist bei vielen Frauen geringer geworden.“ Erschwerend hinzu kommt, dass sich manche Frauen im Internet informierten, vieles davon aber nicht richtig einordnen könnten. „Sie kommen voller Ängste. Angst aber macht verspannt und Verspannung macht Schmerz“, sagt Jäger. So entsteht ein unguter Kreislauf. Es fehle manchmal auch an  Körperbewusstsein und an Selbst- beziehungsweise Urvertrauen. Umso wichtiger sei es, die Schwangere zu stärken, ihr „Mut zur Natürlichkeit“ zu machen, erklärt Sabine Jäger. Das kann schon in den Geburtsvorbereitungskursen geschehen, aber auch unter der Geburt selbst. Auch dazu brauchen Hebammen Zeit. Aber: „Zeit wird in der Medizin nicht bezahlt“, bedauert Elisabeth Hillecke.

Mit Zeit, Zuwendung und viel Erfahrung könne durchaus ein Kaiserschnitt verhindert werden, der zwar ein Routineeingriff, aber immer noch eine große Bauch-Operation sei, die hinterher Schmerzen bereite.

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 18.05.2019