Durch die Leiste direkt ins Herz

Es ist noch gar nicht so lange her, da bedeutete eine erkrankte Aortenklappe eine Überlebenswahrscheinlichkeit von eins zu drei im ersten Jahr, im zweiten schon nur noch von eins zu zwei. Der Ersatz durch eine künstliche Klappe erlaubt die fast vollständige Regeneration. Neben der klassischen Operation wird seit 2008 durch ein neueres Verfahren namens Tavi der Ersatz der Aortenklappe auch für alte und kranke Risikopatienten möglich. Der Eingriff kann in einer knappen Stunde erledigt sein. Tavi ist die Kurzform für das englische Wortungetüm „Transcatheter Aortic-Valve Implantation“ – zu deutsch: kathetergestützte Prothesen-Implantation. Wir klären auf.

Was passiert bei der Tavi-Behandlung genau?
Bei dem Eingriff wird eine passgenaue, zusammengefaltete künstliche, biologische Herzklappe über einen Katheter, vornehmlich über die Leistenarterie in die Position der erkrankten Aortenklappe vorgeschoben und dort entfaltet. Das funktioniert mithilfe eines kleinen Ballons, der anschließend durch den Katheter wieder entfernt wird oder aber auch durch selbstentfaltende Klappenprothesen.

Gibt es Nachteile bei der Tavi-Behandlung?
Die operierenden Ärzte haben keine freie Sicht auf das Herz. Die alte, kranke Aortaklappe bleibt im Körper und kann nicht entfernt werden. So bleibt das Risiko, dass ein Leck zwischen alter und neuer Klappe entsteht und so das Ventil nicht ganz dicht wird. Tavi Patienten benötigen zudem später dreimal häufiger einen Herzschrittmacher als jene, die auf herkömmliche Weise operiert wurden.

Wie erleben Patienten den Eingriff?
Der Alheimer Wilfried Kressel hat erst vor wenigen Wochen eine neue Klappe bekommen mit der Tavi-Behandlung. Eine knappe Stunde habe der Eingriff gedauert, gespürt habe er nichts. Lediglich ein Bluterguss in der Leistengegend habe ihm im Anschluss etwas zu schaffen gemacht. Nach drei Wochen Reha ist er sehr zufrieden. „Ich kann endlich wieder richtig gut durchschlafen“, sagt der 75-Jährige.

Wer ist besonders gefährdet?
Die Erkrankungen an Herzklappen insbesondere der Aortenklappe, nehmen mit dem Alter kontinuierlich zu. Betroffen sind daher vor allem Menschen, die das 75. Lebensjahr überschritten haben. Bis vor einigen Jahren wurden viele dieser alten und gebrechlichen Patienten nicht mehr behandelt, weil eine Herzoperation häufig zu riskant erschien. Jüngere Menschen sind seltener von Aortenklappenerkrankungen betroffen – etwa bei genetischer Vorbelastung oder angeborenen Defekten.

Gibt es Alternativen für die Tavi-Behandlung?
Ja. Die klassische Operation erfolgt direkt durch das Brustbein. Dieses Verfahren ist seit Jahrzehnten bewährt und besitzt für normale Patienten kaum Risiken, führt Prof. Ardawan Rastan, Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am HKZ aus. Dabei wird das Blut des Patienten über eine Maschine abgepumpt und an anderer Stelle wieder zugeführt. Diese Methode ist für den Körper zwar etwas belastender, hat aber die Vorteile, dass die Ärzte freie Sicht auf das Herz haben und die alte Aortaklappe komplett entfernt wird. Gerade bei älteren oder vorbelasteten Patienten birgt diese Variante aber ein etwas höheres Risiko, sodass sie nur dann angewandt wird, wenn für diese älteren Patienten das Tavi-Verfahren nicht möglich ist.

Wie viel Erfahrung haben die Ärzte am HKZ mit den Eingriffen?
Tavi-Eingriffe werden in Rotenburg bereits seit 2010 vorgenommen, bislang insgesamt 509 Mal. Im Jahr 2016 waren es etwa 110 Eingriffe. Die Zahl des herkömmlichen chirurgischen Klappenersatzes liegt im Herz-Kreislauf-Zentrum bei rund 160 proJahr. „Was die Haltbarkeit der Klappen angeht, fehlt uns allerdings noch die Erfahrung, weil die Methode noch recht neu ist“, sagt Chefarzt Prof. Dr. Holger Nef.

Das Zertifikat

Viertes Zentrum in Hessen
Das Herz-Kreislauf-Zentrum in Rotenburg ist im Februar 2017 als erste Klinik in Nordhessen mit dem Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie als „Tavi-Zentrum“ ausgezeichnet worden. Die Gutachter attestieren dem Team des Herz-Kreislauf-Zentrums in Rotenburg: „Sehr gut strukturiertes Klappenprogramm. Mehrere Ärzte mit hoher Expertise. Exzellente Kooperation zwischen den Disziplinen Herzchirurgie und Kardiologie. Kurze organisatorische Wege und Prozeduren werden sehr sorgfältig durchgeführt.“ In Hessen gibt es bislang nur in Frankfurt, Bad Nauheim und Gießen zertifizierte Tavi-Zentren; in Deutschland sind es insgesamt 36.

Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 11.05.2017