Man darf niemals aufgeben

Die kleine Iliyana Petrova litt so stark an den Folgen einer Neugeborenen-Gelbsucht, dass die Ärzte um ihr Leben fürchteten. Doch Hartnäckigkeit wurde belohnt. Inzwischen geht es Iliyana viel besser.

Efka Petrova ist eine Kämpferin, vor allem wenn es um das Wohl ihrer Kinder geht. Für die Gesundheit ihrer Tochter Iliyana war sie bereit, mit der ganzen Familie ihre Heimat Mazedonien zu verlassen und in der Hoffnung auf eine bessere medizinische Behandlung nach Deutschland zu ziehen. In der Kinderklinik des Klinikums Bad Hersfeld konnte dem kleinen Mädchen jetzt geholfen werden.

Doch bis dahin war es ein langer Weg. Iliyana kam vor zehn Jahren in Mazedonien im ehemaligen Jugoslawien auf die Welt. Wie viele Kinder entwickelte sie kurz nach der Geburt eine Neugeborenen-Gelbsucht (siehe Hintergrund). Diese Gelbsucht wird normalerweise mit einer Lichttherapie behandelt. In Iliyanas Fall war diese Therapie wohl nicht ausreichend, die Abbauprodukte des roten Blutfarbstoffes gelangten ins Gehirn, zerstörten dort Nervenzellen und verursachten Folgeschäden.

Iliyana ist sowohl in ihrer körperlichen als auch in ihrer geistigen Entwicklung beeinträchtigt. Als besonders belastend erwies sich eine ausgeprägte Schluckstörung in Kombination mit einem Magenpförtnerkrampf. Obwohl Iliyana gerne und gut aß, hatte sie Probleme, weil die Nahrung nicht ohne Komplikationen in den Magen und dann weiter in den Darm transportiert wurde. Sie musste sich häufig übergeben und weil dann Teile des Erbrochenen auch in die Luftröhre gelangten, hatte sie immer wieder mit Infekten und Lungenentzündungen zu kämpfen und kam dann jeweils in die Kinderklinik.

„Iliyana ging es sehr, sehr schlecht“, berichtet Dr. Holger Hauch, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Das Mädchen wurde in der Substanz immer weniger und sei so stark abgemagert gewesen, dass er Sorge hatte, es könnte nicht mehr lange überleben. „Aber mein Gefühl hat mir gesagt, dass Iliyanas Weg noch nicht zu Ende ist, dass sie noch nicht zu Gott kommen soll“, erzählt Efka Petrova. Gemeinsam mit Dr. Hauch beschloss sie, weiterzukämpfen und alles zu versuchen, was Iliyana helfen könnte.

Probleme hatte Efka Petrova allerdings damit, sich mit dem Gedanken an eine Magensonde anzufreunden, über die Iliyana ihre Nahrung erhalten sollte. Schließlich habe das Kind immer gerne gegessen, sagt sie.

Die Lösung brachte schließlich die Kombination aus Magensonde und weiteren Operationen, bei denen der Muskel am Mageneingang gelockert und eine Lücke im Zwerchfell geschlossen wurde. Das war vor einem Jahr.

Seitdem geht es Iliyana gut und ihre Mutter, die früher mehrere Stunden am Tag damit verbrachte, ihre Tochter mit kleinen Portionen zu füttern, fühlt sich, als sei ihr eine große Last von den Schultern genommen worden. „Jetzt schlafen wir in Ruhe“, sagt sie. Iliyana kann nun ganz stressfrei essen, was und wieviel sie mag. Die fehlende Menge erhält sie über die Magensonde. „Sie ist ein fröhliches, gesundes Kind“, freut sich die Mutter.

Dr. Hauch und seinen Kollegen in Bad Hersfeld sowie den Ärzten am Klinikum in Kassel ist Efka Petrova unendlich dankbar für ihre Geduld und die Bereitschaft, nicht aufzugeben.

„Eine Mutter darf nie aufgeben“, ist Petrova überzeugt. Ihre eigene Entschlossenheit habe sie auch in den Augen von Dr. Hauch gesehen, erzählt sie. Vor einigen Wochen stand sie plötzlich bei Dr. Hauch in der Klinik und überreichte eine große, selbstgebackene Torte mit kleinen Engelchen drauf, weil die Ärzte und die anderen Mitarbeiter der Kinderklinik für sie wie Engel sind.

Über diese Anerkennung, vor allem aber über Iliyanas gesundheitliche Besserung, hat Dr. Holger Hauch sich riesig gefreut. Geheilt werden könne Iliyana nicht, macht er deutlich. Doch sie könne nun mit deutlich besserer Lebensqualität sehr viel länger leben.

Neugeborenen-Gelbsucht kann tödlich sein

Mehr als die Hälfte aller gesunden Neugeborenen ist von einer sogenannten Neugeborenen-Gelbsucht (Ikterus) betroffen. Die Haut und die Augäpfel des Kindes verfärben sich wenige Tage nach der Geburt gelb. Hierbei handelt es sich nicht um eine durch Viren verursachte Infektionskrankheit, sondern um eine Anpassungsstörung der Leber in den ersten Lebenstagen. Bei Frühgeborenen tritt Ikterus noch häufiger und intensiver auf, weil ihre Leber noch weniger ausgereift ist. Nach der Geburt hat das Baby eine Überzahl an roten Blutkörperchen. Da diese nicht gebraucht werden, zerfallen sie. Der rote Blutfarbstoff Hämoglobin wird dabei zu dem Farbstoff Bilirubin umgewandelt, der normalerweise in der Leber abgebaut wird. Dazu benötigt die Leber der Neugeborenen jedoch länger. Werden die Bilirubinwerte nicht regelmäßig kontrolliert und bei hohen Werten nicht entsprechend gehandelt, kann eine Neugeborenen-Gelbsucht eine sogenannte Bilirubin-Enzephalopathie verursachen, die schwere Hirnschäden zur Folge hat und zum Tod führen kann. Behandelt wird Ikterus ab einer bestimmten Grenze mit einer Lichttherapie. Speziell blaues Licht bewirkt, dass der gelbe Farbstoff Bilirubin in der Haut in eine wasserlösliche Substanz umgewandelt und über den Urin ausgeschieden wird.

Kinder heilen, die früher gestorben wären

Am Klinikum gibt es seit vier Jahren ein kooperatives Chefarztmodell für die Kinderklinik
An der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Bad Hersfeld gibt es seit vier Jahren ein Chefarztmodell mit zwei Köpfen. Das heißt, die beiden Chefärzte Dr. Carmen Knöppel und Dr. Holger Hauch teilen sich nicht nur die Leitung der Klinik, sie sind zudem auch an den Universitätskliniken Gießen (Hauch) und Marburg (Knöppel) tätig. Holger Hauch arbeitet dort als Leiter der pädiatrischen Palliativmedizin und der pädiatrischen Hämostaseologie, Carmen Knöppel ist als Oberärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I beschäftigt. Beide haben sich ihre Dienste so aufgeteilt, dass immer einer von ihnen in Bad Hersfeld erreichbar ist. „Wir telefonieren einmal am Tag miteinander und sehen uns einmal in der Woche zu einer persönlichen Besprechung“, erklärt Hauch.

Mittlerweile sehen auch zunehmend mehr Hersfelder dieses Modell nicht als Notlösung, sondern als vorteilhaft. Das Fachwissen in der Kinder- und Jugendmedizin steige in enormem Tempo an, sodass es nötig sei, möglichst viele Spezialisten auf dem jeweils aktuellen Wissensstand vor Ort zu haben. Da sei die enge Kooperation mit den umliegenden Kliniken von Vorteil. „Wir können dank vieler neuer Behandlungsmethoden in der Pädiatrie Kindern sehr gut helfen und auch die heilen, die früher gestorben wären“, betont Hauch. Dies gelte vor allem für Krebserkrankungen, Herzfehler und zunehmend neurologische Erkrankungen (zum Beispiel spinale Muskelatrophie).

Inzwischen gibt es drei Kinderkliniken in Hessen, die ebenfalls ein kooperatives Chefarztmodell eingeführt haben. Alle Eltern werden während des stationären Aufenthaltes nach Meinungen und Kritik befragt. Die Weiterempfehlungsrate von 85 bis 90 Prozent spreche für den Erfolg der Zusammenarbeit und das Engagement des pflegerischen und ärztlichen Teams, ist Hauch überzeugt.

Kinderkliniken hätten es ohnehin schwer bei den ak- tuellen Rahmenbedingungen, weil sie sich ganz häufig wirtschaftlich nicht lohnen würden und schlicht nicht kostendeckend seien. Es sei grundsätzlich viel mehr Zeit nötig, sowohl für die Behandlung der jungen Patienten als auch für Gespräche mit Kindern und Eltern. Zudem seien die Vorhaltekosten für Bereitschaftsdienste und Notfälle hoch. „Unser Ziel ist es, die Kinderklinik auf Dauer in Bad Hersfeld zu halten“, betont der Chefarzt. Dazu sei auch die Vernetzung mit anderen Kliniken wichtig. zac

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 17.11.2020