„Ich kenne und habe keinen Plan B“

Bad Hersfeld/Rotenburg, 16.05.2022 – Seinen ersten größeren öffentlichen Auftritt hatte Dr. Dalibor Bockelmann kürzlich bei der Bürgerversammlung in Rotenburg.

Im Interview spricht der neue medizinische Direktor des Klinikums über die Zukunft der heimischen Kliniklandschaft, den Trend, immer mehr Eingriffe ambulant zu machen, und darüber, was das Klinikum künftig besser machen sollte.

Herr Dr. Bockelmann, bei der Bürgerversammlung sagten Sie, wir müssten uns „vom Krankenhausdenken der letzten 50 Jahre lösen“. Wie meinen Sie das?

Bis zum Anfang der 2000er- Jahre war ein Krankenhaus ein Ort, an dem isoliert stationäre Therapien in einem völlig anderen Abrechnungssystem mit Tagessätzen erbracht wurden. Als ich damals mit der Medizin angefangen habe, war man als Patient mit einem Leistenbruch noch mehrere Tage im Krankenhaus – heute ist das primär eine ambulante Leistung. Darüber hinaus verändern sich Vorgaben und Rahmenbedingungen für Krankenhäuser rasant, was ebenfalls enorme Ressourcen bindet. Ich bin der festen Überzeu- gung, dass das Gesundheitssystem diesen Zustand nicht mehr unbegrenzt lange aushalten wird. Es ist also Zeit, Krankenhaus und Gesundheitsversorgung neu zu denken. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass gute medizinische Versorgung nicht heißt, dass jede Leistung an jedem Krankenhausstandort angeboten wird und unser Gesundheitssystem in seiner Gesamtheit in Bezug auf Digitalisierung international sehr deutlich hinterherhinkt.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen eine stärkere Verzahnung des stationären und ambulanten Sektors, eine regionale Sichtweise auf die Gesundheitsversorgung und wir müssen weg von der Dimension „Bettenanzahl als Ausdruck von irgendetwas“. Das alles wollte ich mit diesem einen Satz ausdrücken.

Was bedeutet das konkret für das Klinikum Hersfeld-Rotenburg?

Im Hinblick auf die bereits erwähnte ambulante Versorgung bauen wir Strukturen auf, die eine bestmögliche Qualität und Zufriedenheit bei allen Beteiligten sicherstellen sollen. Mein Wunsch wäre es auch, wenn das Finanzierungssystem sich so entwickeln würde, dass Krankenhäuser bei nachweislich guter Qualität auskömmlich wirtschaften können. Hier sehe ich die Gesundheitspolitik klar in der Pflicht. Das Klinikum als Zentrum einer regionalen, intersektoralen Gesundheitsversorgung mit exzellenter Behandlungsqualität, attraktiver Arbeitgeber, Ausbildungsstätte und fairer Partner für die Kolleginnen und Kollegen in Niederlassung und den öffentlichen Sektor – das sind meine persönlichen Ziele.

Stichwort Ambulantisierung: Das Klinikum hat die stationäre Augenklinik be- reits aufgegeben. Welche werden folgen?

Die Augenheilkunde ist ein Fachgebiet, das sich deutschlandweit über weite Teile im ambulanten Sektor abspielt. Stationäres Potenzial verlieren werden zukünftig auch andere Fächer wie die Urologie und Gynäkologie. Allerdings wird es hier definitiv immer auch stationäre Betten brauchen. Ein anderes großes Problem ist die Notfallversorgung.

Warum?

In der Notaufnahme treffen die stationäre und ambulante Welt unmittelbar aufeinander, was besondere Herausforderungen für die Steuerung der Patientenwege bedeutet. Ebenfalls klar ist, dass bereits jetzt ein Mangel an Haus- und Fachärzten besteht und sich dieser Trend weiter verschärfen wird. Mein Wunsch ist, dass wir vor diesem Hintergrund gemeinsam mit dem ambulanten Sektor nach Lösungen suchen, wie eine gute Patientenversorgung für die Region in Zukunft aussehen könnte.

In Ihrem Schlusswort in Rotenburg sagten Sie, dass Sie an diesem Abend viel gelernt hätten, unter anderem, dass das Klinikum besser kommunizieren müsse. Wie kann das gelingen?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, über die Entwicklungen an ihren Krankenhäusern umfänglich informiert zu werden. Dies kann über verschiedene Kanäle geschehen. Ich persönlich bevorzuge jedoch tatsächlich das direkte Gespräch und freue mich, wenn sich Leute dafür bei mir melden. Wir müssen die Menschen mehr mitnehmen und informieren, als das bislang vielleicht der Fall war.

Das heißt?

Krankenhaus und Gesundheit sind emotionale Themen. Das weiß ich sehr gut. Umso mehr erkläre ich jedem gerne, warum manche medizinstrategi- schen Entscheidungen so und nicht anders getroffen wurden. Ich bin überzeugt, dass sich im Laufe der Zeit die Erkenntnis durchsetzt, dass der Weg, den das Klinikum eingeschlagen hat, der richtige ist.

Das Rotenburger Kreiskrankenhaus will eine eigene Kardiologie aufbauen. Was halten Sie davon?

Die mir bekannten Pläne des Kreiskrankenhauses sind medizinisch und medizinökonomisch aus meiner Sicht nicht zielführend und das Konzept in sich nicht tragfähig. Ich habe das bei der Bürgerversammlung bereits betont: Für mich gäbe es unter Gesichtspunkten einer optimalen regionalen Gesund- heitsversorgung für den Landkreis deutlich sinnvollere Ideen, die partnerschaftlich entwickelt werden könnten. Hierfür stehen wir mit einer freundlich ausgestreckten Hand jederzeit zur Verfügung. Klar ist aber auch, dass wir unseren Weg weitergehen möchten und werden – so oder so.

Zu Ihrem Dienstantritt in Bad Hersfeld stellte das Klinikum Sie als „kompetente Führungskraft für den Zukunftsprozess“ vor. Wie wollen Sie diesen Prozess angehen?

Führung in der aktuell herausfordernden Situation bedeutet für mich, Optimismus und Gestaltungswillen vorzuleben, immer wieder für die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges zu werben. Und ja, auch das gehört dazu, auch mal klare Kante zu zeigen. Es geht mir nicht um brachiales Durchsetzen, sondern um gemeinsames Entwickeln und Erarbeiten. Dieser Stil braucht etwas länger, liefert aber die nachhaltigeren Ergebnisse. Der Wille zu Veränderung und Anpassung muss bei ständig wechselnden Rahmenbedingungen ein Teil der Unternehmenskultur in einem Krankenhaus von heute sein.

Wo sehen Sie aktuell die größte Baustelle?

Es gibt nicht die eine große Baustelle. Beim Thema Notaufnahme müssen wir schneller und digitaler werden. Eine weitere Baustelle ist die Zusammenführung verschiedener Teams aus den verschiedenen Standorten. Das ist eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe. Wir haben dafür großartige Mitarbeitende, die Tag für Tag hervorragende Leistungen erbringen. Ich bin stolz darauf, meinen Teil beitragen zu dürfen.

Die Pläne, alles nach Bad Hersfeld zu verlagern, haben nicht nur Freunde. Kritiker fragen zurecht nach einem Plan B.

Ich kenne und habe keinen Plan B. Gesundheitspolitische Faktoren und Trends wie Zentralisierung und Zentrenbildung, Mindestmengenregelungen und Qualitätsvorgaben müssen in der heutigen Krankenhausplanung berücksichtigt werden. Entsprechend verantwortungsvoll definieren wir die regionale Gesundheitsversorgung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger neu. Es geht also nicht nur um eine reine Verlagerung – es ist eine Neuorganisation zum Besseren.

Was hat Sie eigentlich nach Bad Hersfeld gezogen?

Mich hat die Aufgabe gereizt. Nach den ersten Gesprächen war mir schnell klar, dass das hier eine hochkomplexe Herausforderung an einem ultimativ spannenden Krankenhausstandort in einer schönen Region darstellt. Was gibt es da dann noch zu überlegen? Um es in der Fußballsprache auszudrücken: Wir definieren die Spielidee der Gesundheitsversorgung einer Region. Das kann doch nur Ansporn und Antrieb sein.

Wie sieht Ihre „Spielidee“ aus?

Bei der Spielidee besteht die Hauptaufgabe sicher darin, die Gesundheitsversorgung älterer Prägung hin zu einer moderneren, digitaleren, schnelleren, verzahnteren und damit besseren zu entwickeln. Ich wünsche mir, dass es uns auf diesem Weg gelingt, ein standortübergreifendes Gemeinschaftsge- fühl, einen Teamgeist, zu schaffen. Damit wäre sicher viel gewonnen. (Sebastian Schaffner)

Hier finden Sie das Montagsinterview der HZ vom 16.05.2022