Therapie-Nutzen noch unerforscht

Psychiaterin Hahne sieht Cannabis-Legalisierung auch kritisch

Deutschland ist der Freigabe von Cannabis ein Stück nähergekommen. Das Bundeskabinett hat den Gesetzesentwurf aus dem Gesundheitsministerium zur Legalisierung beschlossen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechnet mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes bis zum Jahresende.

Doch Psychiaterinnen und Psychologen sehen die Vorhaben der Ampelregierung auch teils kritisch. Wir sprachen darüber mit Dr. Beate Hahne, Chefärztin der Psychiatrischen Station am Klinikum Bad Hersfeld.

Frau Hahne, was unterscheidet Cannabis als Genussmittel von medizinischem Cannabis?
Man unterscheidet zunächst zwischen den Arzneistoffen und den Rauschmitteln. Zu den Arzneistoffen zählen Tetrahydrocannabinol (THC), auch Dronabinol genannt, und Cannabidiol (CBD), ein synthetisches Cannabinoid.

Zu den Rauschmitteln zählt man Haschisch. Das ist das gepresste Harz der Pflanze. Es wird meist aus den Blüten hergestellt. Auch Marihuana zählt dazu, es besteht aus den getrockneten Blüten der weiblichen unbefruchteten Pflanze.

Wie blicken Sie als Psychiater und Psychotherapeuten auf die geplante Cannabis-Legalisierung?
Cannabis hat ein breites therapeutisches Spektrum. Medizinisches Cannabis kann die Ausprägung von Krankheitssymptomen merklich beeinflussen. Die Wirkungen resultieren nicht daraus, dass der Patient in einen Rauschzustand gerät. Abhängig vom verwendeten cannabishaltigen Medikament oder der Cannabissorte und mittels der Dosierung kann die Wirkung beeinflusst werden. Dabei ist es teils schwierig zu trennen, welche Symptomatik einem Gebrauch von Cannabis (im Sinne einer Suchterkrankung) vorausging oder ob diese im Kontext oder gar als Folge einer Psychose im engeren Sinne entstanden ist. Insofern sehen wir Psychiater die aktuelle Entscheidung mit Blick auf unsere Patienten zunächst ergebnisoffen kritisch und werden sicher im Verlauf eine weitere Bewertung treffen. Speziell für die bereits benannten medizinischen Indikationen ist aber wohl ein positiver, die übliche Therapie ergänzender Effekt, zu erwarten.

Welche Vorteile hätte eine Legalisierung für Psychotherapeuten?
Die Psychotherapie verwendet die üblichen zugelassenen Richtlinienverfahren, hier ist der Einsatz psychotroper Substanzen bis dato nicht erlaubt.

Es ist allgemein bekannt, dass besonders der Konsum bei jungen Menschen die Gefahr für psychotische Störungen birgt. Können Sie dies bestätigen?
Ja. Das Gehirn befindet sich etwa bis Mitte des zweiten Lebensjahrzehnts im allgemeinen Reifungsprozess; speziell das sogenannte „Suchtgedächtnis“ „merkt“ sich in diesem Zeitraum schädigende Verhaltensweisen, ist aber auch im primär organischen Sinne besonders anfällig für den Einfluss etwaiger exogen zugeführter toxischere Substanzen.

Haben Sie Beispiele für solche Störungen?
Beispielsweise liegt das Alter, in dem eine Krankheit ausbricht, bei schizophrenen Psychosen bevorzugt im späten Jugendalter bis mittleren Lebensalter. Bei genauer klinischer Untersuchung zeigt sich oftmals, dass im Vorhinein oder auch anhaltend parallel ein schädigendes Suchtverhalten bestand oder besteht. Auch gibt es das sogenannte amotivationale Syndrom, ein Sammelbegriff für eine bei meist auch jüngeren Drogenkonsumenten anzutreffende Symptomkonstellation, gekennzeichnet durch Leistungsminderung, Antriebsstörungen, Adynamie, Auffassungs- und Merkfähigkeitsschwierigkeiten sowie allgemeiner Gleichgültigkeit und fehlender Motivation. Diese Symptome sind zwar zumeist vieldeutig und beispielsweise auch bei schweren Depressionen zu finden, der vorangegangene oder weiter anhaltende regelmäßige Gebrauch psychoaktiver Substanzen ist hier allerdings ein nicht zu unterschätzender, wenn nicht gar auslösender Wirkfaktor.

Wie hat sich die stationäre Behandlung wegen psychotischer Störungen von jungen Menschen in den vergangenen Jahren entwickelt?
Positiv. Je besser die unterschiedlichen Netzwerkpartner des Gesundheitssystems zusammen agieren, desto klarer wird die Problematik thematisiert und umso zielgenauer können ambulante und / oder stationäre Hilfen nicht nur empfohlen, sondern auch in die Wege geleitet werden. Wir arbeiten von unserer Abteilung aus mit den verschiedenen Einrichtungen speziell des Suchthilfesystems sehr eng zusammen. Im Grunde ist die Zielgruppe eher jüngerer Menschen dabei ebenso in unserem Fokus wie auch Menschen aus der Lebensmitte oder des fortgeschrittenen Lebensalters.

Wie sieht es bei Erwachsenen aus. Ist da aus medizinischer Sicht ein legaler Konsum verantwortbar?
Das hängt sehr eng mit der medizinischen fachlichen Expertise und Indikationsstellung zusammen. Aber ja, da wo es passt, kann ein Behandlungsversuch das Portfolio therapeutischer Maßnahmen als Ergänzung gut bereichern.

Eine Legalisierung könnte dazu beitragen, dass Konsumenten „sauberes“ Cannabis konsumieren können. Bei Schwarzmarkt-Cannabis besteht die Gefahr von Verunreinigung und Beimischungen. Stimmen Sie dieser These zu?
Ja. Insbesondere geht es dabei auch um die Herstellungsstandards. Frühere (meist illegal erworbene) Substanzen waren beispielsweise neben den oft unklaren zusätzlich verunreinigenden Substanzen Produkte mit nicht näher definiertem Wirkstoffanteil. Dieser ist in den letzten Jahren zum Beispiel auch deutlich konzentrierter und damit auch nebenwirkungsbehafteter geworden.

Was müsste aus Ihrer Sicht für den Jugendschutz präventiv gemacht werden?
Hier ist eine gut gemachte Öffentlichkeitsarbeit und ein gut strukturiertes Versorgungssystem das Maß aller Dinge. Aufklärung und Unterstützung sollten zeitig und engagiert genug beginnen, beispielsweise auch bereits in der Schulzeit. Etwaig notwendige Krisenhilfen sollten benannt und eingebunden werden. In Summe ist hier zu verfahren, wie es bereits mit den sonstigen sozialpsychiatrischen Möglichkeiten und Netzwerkpartnern der Region praktiziert wird.(Quelle: HZ v. 12.10.2023, DANIEL GÖBEL)

Zur Person

Dr. Beate Hahne ist Chefärztin der Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bad Hersfeld. Sie leitet die Abteilung gemeinsam mit Dr. Simone Lorenc. Die gebürtige Goslarerin hat in Göttingen Medizin studiert und war zuvor als Leitende Oberärztin in der Vitos-Klinik in Hofgeismar tätig. Hahne hat eine psychiatrische Weiterbildung mit den Schwerpunkten Gerontopsychiatrie und -psychosomatik und Geriatrie absolviert.