Therapie muss gut überlegt sein

Testosteronmangel ist seit einiger Zeit ein großes Thema in den Medien – vor allem in den USA, wo man von „Low-T“ spricht und der Markt für Testosteron-Produkte boomt. In Deutschland sind Ärzte erheblich vorsichtiger. Unsere Fragen zum Testosteronmangel beantwortet Prof. Dr. Gerhard Zöller, Chefarzt der Urologie und Kinderurologie am Klinikum in Bad Hersfeld. Auf dem hier angesprochenen Fachgebiet der Andrologie bietet Oberarzt Björn Lengemann Sprechstunden im Klinikum an.

Herr Prof. Zöller, man hört aktuell immer häufiger von Testosteronmangel und dadurch entstehenden Problemen, die auch nicht ausschließlich ältere Männer betreffen. Wie äußert sich dieser Mangel eigentlich?

ZÖLLER: Ein Mangel an Testosteron macht sich unter anderem durch verringertes sexuelles Verlangen, Erektionsstörungen, einen Verlust an Dynamik, Schwäche, Müdigkeit oder auch depressive Verstimmung bemerkbar.

Wie stellen Sie den Mangel an diesem wichtigen Hormon fest?

ZÖLLER: Wir machen eine Blutkontrolle und messen den Testosteronspiegel im Blut, der allerdings individuell sehr verschieden ist. Er unterliegt außerdem einem Tagesrhythmus, deshalb messen wir an zwei Tagen am Vormittag zwischen 8 und 11 Uhr. Der Grenzwert liegt bei 12 nmol/l (Anm. d. Red.: Nanomol pro Liter Blut. Nanomol steht für eine spezielle Anzahl von Teilchen). Bei Werten zwischen 8 und 12 handelt es sich um einen Graubereich. Liegt der Wert unter 8 nmol/l, gilt dies als Testosteronmangel.

Wann ist eine medikamentöse Behandlung angeraten oder sogar erforderlich?

ZÖLLER: Bei Werten über 12 macht man keine Therapie, zwischen 8 und 12 kann man einen Therapieversuch starten, bei einem Wert von unter 8 nmol/l sollte man etwas tun. Von der Gabe von Testosteron in Tablettenform wird allgemein abgeraten, Salben, die täglich aufgetragen werden müssen, kann man einsetzen. Viele Patienten haben aber ein Problem, die Medikamente auch regelmäßig zu nehmen. Daher verwenden wir gerne eine Dreimonatsspritze, mit der das Hormon kontinuierlich  abgegeben wird. Der Patient merkt hier auch deutlich, wenn die Wirkung nachlässt.

Inwieweit profitieren die Patienten von der Therapie?

ZÖLLER: Wir haben hier im Klinikum weniger mit dem Altersdefizit von Testosteron zu tun, und auch junge Männer sind mit diesen Problemen beim niedergelassenen Urologen. Wir sehen aber zum Beispiel, dass Patienten nach einem beidseitigen Hodentumor sich mit der Hormonspritze viel besser fühlen. War nur ein Hoden von einem Tumor betroffen, reicht in der Regel der andere Hoden für die Testosteronproduktion aus.

Wie viele Männer leiden denn unter Testosteronmangel?

ZÖLLER: Wir wissen, dass das Hormon Testosteron beim Mann im Alter abnimmt. Das beginnt langsam mit etwa 40 Jahren. Zwischen 60 und 70 Jahren verzeichnen wir bei 30 bis 40 Prozent der Männer einen Testosteronmangel, der bei 15 bis 20 Prozent Schwierigkeiten machen kann. Das ist aber eine sehr individuelle Geschichte. Viele Männer sagen auch, das ist eine Alterserscheinung, wenn ich keine Lust mehr habe. Mit der Gabe von Testosteron steigt möglicherweise auch die Wahrscheinlichkeit von Prostatakrebs. Also, wer keine Probleme hat, braucht auch keine Therapie. Ich bin auch kein Freund des Hochleistungsgedankens, mit 70 noch so leistungsfähig wie ein junger Mann sein zu wollen.

Wie ist das mit einem Testosteronmangel bei jungen Männern?

ZÖLLER: Zu der Zahl der Betroffenen kenne ich keine Untersuchung. Auf jeden Fall sollte man wissen, dass junge Männer, die noch Kinder kriegen wollen, kein Testosteron bekommen dürfen. Das Hormon unterdrückt die Ausreifung der Samenzellen, dasselbe gilt für Anabolika. Darüber sollten sich die jungen Männer beim Krafttraining klar sein.

Wenn aber ein junger Mann schon versucht hat, mit zusätzlicher Gabe von Testosteron/Anabolika männlicher und athletischer auszusehen?

ZÖLLER: Es kann ein bis zwei Jahre dauern, bis nach Absetzen der Gaben die Bildung von Samenzellen wieder funktioniert, aber es sind auch dauerhafte Schädigungen möglich.

Wie kann „Mann“ einem Testosteronmangel vorbeugen?

ZÖLLER: Häufig leiden Männer, die zu dick sind, unter einem Testosterondefizit. Eine Reduzierung von Übergewicht ist deshalb und aus vielen anderen Gründen immer sinnvoll, ebenso wie maßvoller Genuss von Alkohol, Bewegung und Sport. (ank)

Stichwort Testosteron

Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon und wird überwiegend in den Hoden produziert. Das Hormon kommt in geringen Mengen auch bei der Frau vor. Es sorgt für die Ausbildung der Geschlechtsmerkmale bei Männern und fördert die Spermienproduktion. Bei beiden Geschlechtern spielt es eine bedeutende Rolle für das Lustempfinden und beeinflusst unter anderem auch das Gedächtnis, die Knochendichte, den Blutzuckerspiegel, den Blutdruck sowie den Fettaufbau.(red/ank)

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 25.10.2017