MONTAGSINTERVIEW mit den Geschäftsführern des Klinikums Hersfeld-Rotenburg

Im Interview sprechen Geschäftsführer Martin Ködding und Dr. Tobias Hermann vom Klinikum Hersfeld-Rotenburg über fehlendes Geld, die Zukunft des Rotenburger HKZ und einen FDP-Vorschlag.

Herr Ködding, Herr Hermann, nachdem unsere Zeitung darüber berichtet hatte, dass das Klinikum Hersfeld-Rotenburg im Hessentagsmonat ein dickes Minus gemacht hat, hat die FDP vorgeschlagen, das Rotenburger Herz-Kreislauf-Zentrum zu verkaufen. Was halten Sie von dieser Idee?
KÖDDING: Wenn man die Frage beantworten will, muss man sich zunächst mit den Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen beschäftigen. Diese haben sich in den letzten Jahren drastisch verändert. Die Zahl der stationären Behandlungen sinkt. Das wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Die Erwartungen an Umsatz- und Gewinnwachstum gehen also deutlich zurück.

Woran liegt das?
HERMANN: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Fachkräftemangel führt dazu, dass immer mehr Betten außer Betrieb genommen werden, weil nicht mehr genug Personal da ist. Auch werden immer mehr Behandlungen ambulant durchgeführt, die Zahl der stationären Fälle geht dadurch zurück.

Was bedeutet das mit Blick auf den FDP-Vorschlag?
KÖDDING: Die Frage ist ja, was würde ein privater Träger anders machen? Wenn die FDP der Meinung ist, dass ein privater Träger die Lösung für die eben angesprochenen Probleme hat, ist das für mich nicht nachvollziehbar.Sie haben dieselben Rahmenbedingungen. Hinzu kommt die Frage, ob ein privater Träger angesichts der zu erwartenden Veränderungen überhaupt noch Interesse hätte an einem Klinikerwerb im ländlichen Raum.

Wie stehen Sie grundsätzlich zur Privatisierung von Krankenhäusern?
KÖDDING: Wenn wir uns einig sind, dass für die Entwicklung einer ländlichen Region die vier Bereiche Bildung, Sicherheit, Infrastruktur und Gesundheit entscheidend sind, dann müssen diese Faktoren auch gestaltbar bleiben durch die regional Verantwortlichen und nicht durch Konzerne, die am Ende vielleicht global aufgestellt sind. Ich glaube, dass wir uns bei Sicherheit, Bildung und Infrastruktur schnell einig sind, dass wir das nicht in private Hände geben wollen. Das sehe ich bei der Gesundheitsvorsorge genauso. Es kann auch nicht das Ziel der Solidargemeinschaft sein, dass aus Beitragseinnahmen Kapitalrendite für Investoren erwirtschaftet wird.

Sie sprechen die Krankenkassenbeiträge an.
KÖDDING: Genau. Wenn man das will, muss man das politisch auch laut sagen. Davon auszugehen, dass ein privater Träger die Gesundheitsversorgung hier im Landkreis so aufstellt, dass sie der Region dient, dass sie eine soziale Rendite erwirtschaftet – das ist unrealistisch. Deshalb bin ich dagegen und denke, dass stationäre Gesundheitsversorgung in öffentliche Trägerschaft gehört. Das Klinikum hat 2016 das damals insolvente HKZ übernommen. Seitdem schreibt das HKZ unter dem Dach des kommunalen Klinikkonzerns rote Zahlen. Auch für 2018 werden millionenschwere Verluste erwartet.

Angenommen, Sie könnten die Zeit zurückdrehen – würden Sie mit dem Wissen von heute das HKZ noch einmal kaufen?
KÖDDING: Klares Ja. Was wäre denn die Alternative gewesen? Entweder gäbe es heute kein HKZ mehr in Rotenburg, dann hätten wir im Landkreis 500 bis 600 Arbeitsplätze weniger. Oder ein anderer Betreiber hätte das HKZ übernommen, dann hätten wir uns weiterhin wie in der Vergangenheit einen intensiven Verdrängungswettbewerb geliefert. Das wäre nicht gut. Für die Zukunft ist wichtig, dass der Landkreis sowohl über das HKZ als auch über das Klinikum sachlich entscheiden und regionale Gesundheits- und Strukturpolitik betreiben kann.

Der Kreistag hat dem Klinikkonzern schon eine Sechs-Millionen-Euro-Finanzspritze gegeben, Teile des HKZ sind inzwischen an die Hessische Hochschule für Finanzen und Rechtspflege vermietet – trotzdem bleibt ein Minus. Woran liegt das?
KÖDDING: Das Geld für Krankenhäuser fließt aus zwei Quellen: Die Krankenkassen bezahlen die Betriebskosten, das Land die Investitionskosten. Nun ist es so, dass die Krankenkassen seit zehn, 15 Jahren nicht mehr die tatsächlichen Betriebskosten abdecken. Ein Beispiel: Wir haben Tarifsteigerungen von drei Prozent, kriegen aber von den Krankenkassen nur zwei Prozent. Das ergibt eine Lücke von einem Prozentpunkt – und das passiert so seit Jahren. Das konnte in der Vergangenheit funktionieren, weil wir entsprechende Zuwächse bei den Fallzahlen hatten. Diese Zuwächse bleiben jetzt aus.

Gibt das Land ausreichend Geld für Investitionen, die ja augenscheinlich dringend benötigt werden?
KÖDDING: Nein. In den 1970er Jahren haben die Länder noch 25 Prozent des Krankenhausumsatzes für Investitionen zur Verfügung gestellt. Inzwischen liegt die Förderquote nur noch bei drei bis vier Prozent. In Hessen fehlen derzeit 180 Millionen Euro jährlich. Also müssen die Kliniken die Investitionen jetzt teils aus erwirtschafteten Mitteln oder Trägerzuschüssen stemmen. Im Klinikum laufen so zwei Millionen Euro pro Jahr auf. Hinzu kommt, dass wir als tarifgebundener öffentlicher Träger eine zusätzliche Altersvorsorge für unsere Mitarbeiter erwirtschaften müssen, die wir nicht refinanziert bekommen. Im Klinikum Bad Hersfeld sind das pro Jahr noch mal fünf Millionen Euro.

Sie sagen, dass die Fallzahlen sinken – war diese Entwicklung nicht absehbar?
HERMANN: Nein. Dass die Fallzahlkurve sinkt, war 2017 das erste Mal in 20 Jahren. Interessant wird sein, wie es weitergeht. Das hängt wiederum entscheidend von den Rahmenbedingungen ab, die von der Bundespolitik gesetzt werden. Klar ist allerdings, dass eine Konsolidierung stattfinden soll.

Konsolidierung heißt: Es sollen Standorte geschlossen werden?
HERMANN: Genau, das ist das bundespolitische Ziel. Die Rahmenbedingungen machen es den Häusern vor Ort immer schwerer, sich dem zu widersetzen. Anfangs wurde nur weniger bezahlt, jetzt wird der Druck durch die Einführung von Personaluntergrenzen erhöht. Diese Untergrenzen führen dazu, dass man Mindestvorhaltungen bereitstellen muss, um Leistungen zu erbringen. Das wird dazu führen, dass bei einem Personalmangel diese Leistungen nicht mehr erbracht werden können. Dies verschlechtert die wirtschaftliche Situation. So kann man einen Markt auch regulieren, wenn die Landespolitik schon keinen übergeordneten Plan aufstellt, welche Standorte als systemrelevant gelten.

Würden Sie sich so einen Plan wünschen?
HERMANN: Natürlich. Wir brauchen eine nachhaltige Krankenhausbedarfsplanung auf Landesebene.

Und warum gibt es so einen Plan nicht?
KÖDDING: Zu der Frage, welche Kliniken wir in Zukunft brauchen, gehört auch die Antwort, welche Krankenhäuser wir nicht mehr brauchen. Und Sie wissen ja, welche Diskussionen schon allein die Verlagerung der Orthopädie um 25 Kilometer ausgelöst hat. Den Mut, Krankenhäuser infrage zu stellen, hat momentan noch keiner. Dabei wäre er zwingend notwendig.

Zurück zum Herz-Kreislauf-Zentrum: Was macht Ihnen Hoffnung, dass es auch künftig noch ein HKZ in Rotenburg gibt?
KÖDDING: Die Frage ist ja nicht, an welchem Standort welche Medizin angeboten wird, sondern ob es uns gelingt, im Landkreis die momentan gute wohnortnahe Versorgung aufrechtzuerhalten. Dann müssen wir über alle Möglichkeiten nachdenken dürfen.

Können Sie die Mitarbeiter und Patienten in Rotenburg verstehen, die sich um ihr HKZ sorgen?
KÖDDING: Vordergründig kann ich die Sorge um Standorte von Krankenhäusern verstehen. Aber sie ist eine emotionale, keine rationale. Die Sorge müsste doch vielmehr sein, dass sich die Versorgungssituation im Landkreis verschlechtern könnte, und nicht, ob ich nach Rotenburg oder Bad Hersfeld fahren muss.

Haben Sie einen Plan B für den Standort Rotenburg?
KÖDDING: Wir stellen uns vor allem die Frage, wie wir die Gesundheitsversorgung in der Region aufrechterhalten und wie wir die soziale Rendite unseres Unternehmens in der Region halten können. Einen Plan A, B oder C kann ich Ihnen heute nicht beschreiben. Das hängt auch entscheidend von der bundes- und landespolitischen Entwicklung ab.

Bleibt es denn dabei, dass Sie, wie geplant, 80 Millionen Euro ins HKZ und ins Bad Hersfelder Klinikum investieren werden?
KÖDDING: Welche Vorhaben angesichts der bundesweiten Umsatzrückgänge und stagnierenden Fallzahlen zukunftsfähig sind, müssen wir immer wieder auf den Prüfstand stellen. Das ist ein kontinuierlicher Prozess.

Das heißt, wie viel tatsächlich investiert wird, steht noch in den Sternen?
KÖDDING: Wir werden die zugesagten und verfügbaren Mittel investieren, wir brauchen Investitionen.

Und bleibt es dabei, dass die Orthopädie nach Rotenburg verlagert wird?
KÖDDING: Stand heute werden, wie geplant, die Orthopädie und auch die Psychiatrie nach Rotenburg umziehen.

HINTERGRUND
3100 Mitarbeiter, 160 000 Patienten und 200 Millionen Euro Umsatz jährlich
Das Klinikum Hersfeld-Rotenburg mit Standorten in Bad Hersfeld und Rotenburg gehört mit 3100 Mitarbeitern, darunter 300 Ärzte und etwa 1000 Beschäftigte in den Pflegeberufen, zu den größten Krankenhäusern in Hessen. Der Klinikverbund hat pro Jahr rund 40 000 stationäre und 120 000 ambulante Patienten. Mit über 150 Ausbildungsplätzen ist der Klinikkonzern zudem einer der größten Ausbildungsbetriebe in der Region. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 200 Millionen Euro. Zum Klinikverbund gehören: das Klinikum Bad Hersfeld mit 600 Betten, verteilt auf 18 Kliniken und Fachabteilungen. Pro Jahr zählt das Klinikum mehr als 86 000 Patienten, davon werden 27 000 stationär behandelt, die Klinik am Hainberg, eine Fach- und Rehabilitationsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Bad Hersfeld mit etwa 200 Betten. Pro Jahr werden dort etwa 1500 Patienten versorgt, die Orthopädie Bad Hersfeld mit 40 Betten und etwa 1600 stationären und über 5000 ambulanten Patienten, das Herz-Kreislauf-Zentrum in Rotenburg, das über rund 190 Betten für die Akutversorgung sowie 200 Betten im Rehabereich verfügt.
Patientenzahl pro Jahr: 8000 stationär, 1500 ambulant und das MVZ Hersfeld-Rotenburg mit rund 20 Facharztsitzen an den Standorten Bad Hersfeld, Bebra und Rotenburg.
Außerdem gehören zum Klinikverbund die Palliativmedizin, eine häusliche Krankenpflege und die Versorgung von Kindern im Frühförderzentrum.

ZUR PERSON
Martin Ködding
(63) ist in Frankenau (Waldeck-Frankenberg) geboren. Der gelernte Industriekaufmann begann im Gesundheitswesen 1976 in einer Reha-Klinik in Bad Wildungen. Nach einem BWL-Studium wechselte er 1986 nach Bad Hersfeld, zunächst als Assistent des Verwaltungsdirektors, wurde dann Verwaltungsdirektor und später Geschäftsführer des Klinikums Hersfeld-Rotenburg. Der Familienvater lebt  mit seiner Ehefrau in Bad Hersfeld.
Dr. Tobias Hermann (51) ist medizinischer Geschäftsführer des Klinikverbundes. Neben einem Medizinstudium mit Facharztausbildung zum Herzchirurgen absolvierte der gebürtige Schwabe den Master-Studiengang Health Care Management. Er arbeitete lange für ein Beratungsunternehmen im Gesundheitsbereich. Vor seinem Wechsel nach Bad Hersfeld im Jahr 2016 hat er am Klinikum Augsburg gearbeitet. Hermann ist verheiratet. ses/kai FOTO: SEBASTIAN SCHAFFNER

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 28.10.2019