Kinderstationen laufen voll

Eine Atemwegsinfektionswelle mit dem RS-Virus rollt über die Kinder hinweg und führt zu vermehrten Einweisungen in Kinderkliniken, die teilweise an die Belastungsgrenze geraten

Fast zwei Jahre lang bestimmt nun das SARS-CoV19-Virus nun das infektiologische Weltgeschehen im Rahmen der Corona-Pandemie.  Seit dem Frühherbst schon machte die Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und das Robert-Koch-Institut die Kinderärzte aufmerksam, dass es zu vermehrten und früher als üblich auftretenden Infektionen durch das Respiratorische Synzitial-Virus (RSV) gekommen und eine deutliche Zunahme der Infektionszahlen der Kinder für die kommenden Monate zu erwarten sei.

Frau Dr. Carmen Knöppel- Chefärztin der Kinderklinik Bad Hersfeld- berichtet, dass wir uns nun seit Mitte September inmitten einer Welle von zunehmenden Atemwegsinfektionen durch RSV und andere bekannte respiratorische Erreger befinden, die üblicherweise in den Herbst-/Wintermonaten in der Kinderheilkunde zu finden sind und zu vermehrten Krankenhausaufenthalten von Kindern führen. Im Rahmen der Pandemie mit ihrem Lock-down und strengen Hygienevorschriften war die Inzidenz dieser Erkrankungen im vergangenen Winter sehr herabgesetzt und die klassischen „Herbst-Winter-Erreger“ haben im vergangenen Jahr kaum zu Krankenhausaufnahmen in den Kinderkliniken geführt.

Was genau ist das Respiratorische Synzitial-Virus?
Frau Dr. Knöppel erklärt, dass das RS-Virus ein, den Kinderärzten seit den 1950er Jahren bekanntes und vertrautes Virus sei, das obere und untere Atemwegsinfektionen auslöse. Es werde primär –ähnlich wie bei einer Grippeinfektion mit Influenza-Viren- über eine Tröpfcheninfektion von einer infektiösen Kontaktperson (Erwachsene oder Kinder aller Altersgruppen) weitergegeben und befalle dann die Zellen in der Schleimhaut unserer Atemwege. Dort löse es dann – prinzipiell in allen Altersgruppen- eine leichte bis schwere Atemwegsinfektion mit den Symptomen von Schnupfen, Husten, Heiserkeit, Halsschmerzen, enggestellten Bronchien bis hin zur angestrengten Atmung mit Atemnot und zusätzlichem Sauerstoffbedarf aus. In seltenen Fällen, insbesondere bei ehemaligen Frühgeborenen, Neugeborenen und Kinder mit angeborenen Herzfehlern, Erkrankungen des Immunsystems oder nach Organtransplantationen komme es zu sehr schweren Verläufen. Diese Kinder müssten häufig auf einer pädiatrischen Intensivstation beatmet und komplex intensivmedizinisch betreut werden, in seltenen Fälle versterben Kinder auch an einer solchen Infektion. Der weltweit verbreitete Erreger infiziere saisonal im ersten Lebensjahr 50-70% aller Kinder, bis zum 2.Lebensjahr hätten nahezu 100% aller Kinder eine Infektion durchgemacht. Üblicherweise sei die Inzidenz (Häufigkeit) in den Monaten November bis April am höchsten, der Gipfel der Infektionswelle – meist mit einer Dauer von 4-8 Wochen- falle meist in die Monate November bis Februar, was sich 2021 als „Ausnahmejahr“ zeige.
Problematisch sei, dass der Erreger nach durchgemachter Infektion keine langfristige Immunität hinterlasse, so dass mehrfache Infektionen nicht selten seien. Die meist am schwersten betroffenen Altersgruppen der Früh-Neugeborenen und jungen Säuglinge bekämen nur einen unvollständigen Nestschutz durch die Mutter mit.  

Wie gestaltet sich der Verlauf einer Infektion?
Ca. 2-5-8 Tagen nach der Ansteckung komme es meist zur oberen Atemwegsinfektion mit Schnupfen, nicht produktivem Husten und Halsschmerzen. Diese Symptome können dann innerhalb von 1-3 Tagen fortschreiten und zu einer unteren Atemwegsinfektion führen, die sich in deutlichen Hustenattacken mit produktivem Husten, ansteigender Atemfrequenz und Zeichen der Atemnot zeigt. Die Kinder seien krank, insbesondere Säuglinge und Kleinkinder hätten Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und setzen ihre Atemhilfsmuskulatur ein, um ausreichend Luft zu bekommen. Die Lunge klinge oftmals ähnlich wie bei einer spastischen Bronchitis oder Asthma. Die Verengung der Atemwege führe zu einem gestörten Gasaustauch, so dass viele Kinder zusätzlichen Sauerstoffbedarf hätten, der üblicherweise nur in einem Krankenhaus zur Verfügung stehe. Die Symptome in unterschiedlicher Ausprägung dauerten zumeist 3-12 Tage an, aber auch Verläufe über mehr als vier Wochen seien den Kinderärzten bekannt.
Dr. Knöppel berichtet, dass es leider bisher keine kausale Therapie für die RSV-Infektion gebe, sondern die Kinder symptomatisch mit bspw. Nasentropfen, Inhalationen, Infusionen und zusätzlicher Sauerstoffgabe behandelt werden.  Eine antibiotische Therapie sei keinesfalls sinnvoll, außer es komme zur zusätzlichen bakteriellen Infektion, weil virale Erkrankungen nicht mit Antibiotika behandelt werden könnten. Noch stehe keine medikamentöse Anti-Virus-Therapie oder ein aktiver Impfstoff, der den Körper ähnlich den anderen Impfungen im Kindes-und Jugendalter zur eigenen Produktion von Antikörpern anrege, zur Verfügung. Auch die inzwischen für Kinder ab dem 12. Lebensjahr von der STIKO zugelassenen Impfung gegen Corona ist für die RSV-Infektion nicht zielführend, weil das Virus zu einer ganz anderen Virusgruppe gehöre.

Warum verzeichnen gerade aktuell immer mehr Kinderkliniken in Deutschland steigende Patientenzahlen durch RSV und ist das auch in der Kinderklink in Bad Hersfeld der Fall?
Alle Kinderkliniken quer durch die Republik berichten von einem dramatischen Anstieg der Infektionszahlen bei Kindern, insbesondere durch RSV, so auch in Hersfeld. Die ersten Fälle mit positivem Nachweis von RSV im Nasen-Rachenabstrich fanden sich bereits Ende August und seit Mitte September ist der Anstieg überdurchschnittlich. Aktuell sind die bis zur Hälfte unserer stationär betreuten Kinder RSV positiv, während nur in seltenen Ausnahmefällen SARS-CoV19-nachgewiesen werde, aber auf beide Erreger würden in der Klinik zu betreuende Kinder mit Atemwegssymptomatik getestet. Während der Pandemiezeit seit März 2020 habe es eine deutlich rückläufige Belegungszahl aufgrund von Infektionen in unserer Kinderklinik gegeben. Das sei u.a. dadurch erklärbar, dass Kinder aller Altersgruppen – vom Baby bis zum Jugendlichen- den Kontaktbeschränkungen und den strengen notwendigen Hygieneregeln im Lock-down unterlegen waren.  In dieser Zeit seien insbesondere die jüngsten und jungen Kinder, die ihr Immunsystem- so schwierig sich diese Phasen für Eltern in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch gestalten mögen- mit bis zu einem Infekt pro Monat „trainieren“ weniger in Kontakt mit Krankheitserregern gekommen, demnach weniger krank geworden und somit läge ein „reduzierter Trainingseffekt für das Immunsystem“ vor. Mit der Rückkehr in eine „gewisse Normalität“ (Kita-/Kindergarten-und Schulbesuche; Wiederaufnahme von Freizeitangeboten) auch unter fortbestehender Corona-Welle würden nun Infektionen „nachgeholt und erstmals durchgemacht“. Es gelte zu betonen, dass diese Kinder “nach der Zeit unter der Käseglocke“ nun nicht unter eine Immunschwäche im Sinne einer echten Erkrankung leiden, nein, sie trainieren ihr Immunsystem und bilden eine klassische Immunkompetenz, die auch zur Gruppenimmunität führe, aus.  
Viele Kinderkliniken in Deutschland gerieten derzeit an den Rand ihrer Kapazitäten bzw. ihrer Belastungssgrenze aufgrund von Isolationsmöglichkeiten der Kinder und einem Pflegepersonalmangel, der häufig mit assoziierten Bettensperrungen einhergeht.
In unserem Klinikum seien bisher alle, die uns dort vorgestellten Kinder vor Ort behandelt und teilweise zusätzlich noch Kinder aus umliegenden anfragenden Krankenhäusern mitbetreut worden. Es bleibe nun spannend, wie sich die nächsten Wochen der klassischen Infekt-Wintermonate gestalten werden, insbesondere ob zusätzlich auch noch eine Grippe-Welle durch Influenza A- und B-Viren hinzukomme und vor allem, wie sich die veränderte Immunität der Kinder im Langzeitverlauf nach der Pandemie auswirken werde. Dazu seien in den kommenden Jahren sicher interessante wissenschaftliche Studienergebnisse zu erwarten.

Welche Tipps kann man Eltern geben?
Wichtig sei die Einhaltung von Hygieneregeln im öffentlichen Leben und innerhalb der Familie, um die Ausbreitung von RSV zu minimieren. Hierzu gehören regelmäßiges Händewaschen, hygienisches Husten und Niesen, Kontaktvermeidung sowie die Reinigung eventuell kontaminierter Gegenstände (wie bspw. Spielsachen und Kuscheltiere).  Während der Ansteckungsfähigkeit (i.d.R.3-8 Tage) sollten Gemeinschaftseinrichtungen gemieden werden, wenngleich kein explizites Besuchsverbot für diese gemäß Infektionsschutzgesetzt gesteht.  Kinder mit Atemwegsinfekt sollten keinen Kontakt zu immungeschwächten/-supprimierten Personen haben. Im Infekt sollten Einmaltaschentücher, die in geschlossenen Behältnissen entsorgt werden, benutzt werden. 
Wenn Eltern sich sorgen oder die Schwere der Infektion nicht sicher einschätzen können, sollten sie ihre Kinder beim betreuenden Kinderarzt oder in der Notfallambulanz einer Klinik vorstellen.