Im Landkreis werden die Hebammen knapp

Bedarf an Betreuung vor und nach der Geburt größer als Angebot

Im Kreis Hersfeld-Rotenburg gibt es zu wenige Hebammen. Am Klinikum Bad Hersfeld sind zwar derzeit alle Stellen besetzt, berichtet die leitende Hebamme Sabine Jäger. Doch hat auch sie, ebenso wie Pflegedirektor Markus Ries festgestellt, dass es schwierig geworden ist, Hebammen zu finden.

Noch schwieriger ist das für werdende Mütter. Sie haben einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Hebammenhilfe, doch wird es zunehmend schwieriger, einen Platz in einem Geburtsvorbereitungskurs zu bekommen oder eine Hebamme für die Wochenbettbetreuug zu finden.

„Viele, viele Frauen werden nicht betreut, weder vor der Geburt, noch nachher“, stellt Annette Waitz mit Bedauern fest. Sie bietet als niedergelassene Hebamme unter anderem Geburtsvorbereitungskurse und Wochenbettbetreuung an. Wer einen Platz in einem Geburtsvorbereitungskurs oder Unterstützung nach der Geburt haben möchte, meldet sich am besten schon zu Beginn der Schwangerschaft an – und selbst dann gibt es keine Garantie.

Wer sein Baby nicht in einer Klinik, sondern zu Hause zur Welt bringen möchte, muss noch länger suchen. Hebammen müssen, wenn sie die Betreuung von Hausgeburten anbieten wollen, so hohe Versicherungsprämien bezahlen, dass das für sie kaum noch machbar ist. Legen sie die Kosten für die Hausgeburten auf die werdenden Mütter um, können sich nur noch gut verdienende Frauen eine Hausgeburt leisten, erläutert Ute Petrus, eine der Sprecherinnen des Landesverbandes der Hessischen Hebammen im Kreis. 6842 Euro muss eine niedergelassene Hebamme in diesem Jahr alleine für die Haftpflichtversicherung zahlen, im kommenden Jahr werden es 7638 Euro sein. Der mit dem Land vereinbarte Sicherstellungsabschlag lindere das Problem etwas, löse es aber nicht und sei mit großem bürokratischen Aufwand verbunden, sagt Petrus.

Hintergrund

Ausbildung dauert drei Jahre
Wer den Beruf Hebamme ergreifen möchte, kann entweder ganz klassisch eine Hebammenschule besuchen – die nächste liegt in Kassel – oder einen Studiengang Hebammenkunde an einer Hochschule absolvieren, zum Beispiel in Fulda. Die Ausbildung an Schulen dauert drei Jahre und besteht aus theoretischen und praktischen Teilen, zum Beispiel im Kreißsaal, auf der Wochenstation, im Operationssaal, der Kinderklinik und in einer freien Praxis. Voraussetzung ist die mittlere Reife. Der Bachelorstudiengang umfasst die gleichen Inhalte, dauert jedoch vier Jahre, weil auch noch eine Arbeit geschrieben werden muss. Voraussetzung ist das Abitur. Ein Masterstudium ist möglich.

Viele Frauen entscheiden sich für Teilzeit
Hohe Kosten, relativ geringe Verdienstmöglichkeiten und viel Bürokratie führen dazu, dass immer weniger niedergelassene Hebammen ihre Unterstützung für Schwangere und junge Mütter anbieten. Im Raum Bad Hersfeld gebe es nur noch wenige Kolleginnen, berichtet Annette Waitz. Der Bedarf sei aber wesentlich höher. „Man kriegt viele Steine in den Weg gelegt“, bedauert Waitz. So sei es zum Beispiel Vorschrift, dass jede Hebamme ihr eigenes Qualitätsmanagement nach den vorgeschriebenen Normen vorlegen müsse. „Für jemanden, der in Teilzeit arbeiten möchte, ist das ein ungeheurer Aufwand“, sagt Waitz.

Kampf mit den Kassen
Auch die Krankenkassen machten es den freiberuflichen Hebammen nicht leicht, erklärt sie. Sie zahlten zum Beispiel nur geringe Kilometerpauschalen und nur bis zu einer Entfernung von 25 Kilometern. „Manchmal wird schon bei 20 Kilometern diskutiert.“ Wenn sie aber zur Wochenbettbetreuung nach Heringen fahren müsse, seien das mehr als 30 Kilometer. „Der Kampf ums Geld macht’s immer schwieriger“, stellt Waitz fest und wundert sich nicht, dass immer mehr ihrer Kolleginnen abspringen oder gar nicht erst für den Beruf entscheiden.
„Der Beruf an sich hat sich nicht verschlechtert, aber die Situation, unter der wir arbeiten müssen“, bedauert Ute Petrus. Freiberuflich könne man nur davon leben, wenn man viel arbeite. Viele Kolleginnen hätten sich deshalb dafür entschieden, Teilzeit in einer Klinik tätig zu sein. Zahlreiche Hebammen, die am Klinikum arbeiten, nutzen diese Möglichkeit. Sie bieten Vorsorge in der Schwangerschaft, Geburtsvorbereitungskurse, Aquafitness in der Schwangerschaft, Akupunktur, Wochenbettbetreuung, Rückbildungsgymnastik, Babymassage oder Babyschwimmen an, erläutert Sabine Jäger, leitende Hebamme am Klinikum.
Ebenso wie Pflegedirektor Markus Ries ist sie davon überzeugt, dass diese Möglichkeit der individuellen Gestaltung der eigenen Arbeit ein wesentlicher Punkt ist, der zur Zufriedenheit der Hebammen mit ihrem Beruf beiträgt. Natürlich müsse darauf geachtet werden, dass die Arbeit am Klinikum nicht zu kurz komme.

Ein gutes Betriebsklima und der „Raum fürs Individuelle“ sei, so Ries und Jäger, auch wichtig, wenn es um die Neubesetzung von Stellen gehe. Die enge Verzahnung von Kreißsaal und Wochenstation und Wertschätzung der Ärzte für die Arbeit der Hebammen sei ebenfalls ein wichtiges Kriterium. Auch die Kooperation mit der Hebammenschule in Kassel und der Hochschule Fulda habe sich bewährt, betonen beide. Die Schülerinnen und Studentinnen brächten frischen Wind ins Klinikum.

pdf Artikel aus der Hersfelder Zeitung vom 29.02.2016