Gesundheitsversorgung am Limit

Gesundheitsversorgung am Limit- Auch 2020 wird ein schwieriges Jahr

Bad Hersfeld Dezember 2019. Krankenhäuser in Not -Die Geschäftsführer Martin Ködding, Dr. Tobias Hermann und Pflegedirektor Michael Gottbehüt über die Perspektiven der kommenden Jahre.

Wie lange kann die bewährte wohnortnahe Gesundheitsversorgung noch aufrecht erhalten werden? Diese Frage beschäftigt zurzeit alle Verantwortlichen im Gesundheitssystem. Während der Gesundheitsminister Jens Spahn in rasantem Tempo eine Gesetzesvorlage nach der anderen erlässt, stehen die Verantwortlichen in den Leistungserbringern vor Ort, den Krankenhäusern, vor kaum lösbaren Aufgaben. „Aufgrund fehlender Pflege- und anderer Fachkräfte müssen in den Krankenhäusern die  Behandlungskapazitäten zurückgefahren werden, da hilft auch das Versprechen von Herrn Spahn nicht, dass alle Pflegekräfte bezahlt werden. Es gibt Nichts was zu bezahlen ist, denn der Markt an Fachkräften ist leegefegt", so der Medizinische Geschäftsführer Dr. Tobias Hermann im Gespräch. Hinzu kommt, dass im Herbst und Winter nicht nur mehr Patienten die Häuser aufsuchen, sondern auch die Beschäftigten erkranken ebenso. „Die Belastbarkeit der Mitarbeiter hat ein kritisches Niveau erreicht und es droht ein weiterer schmerzlicher Verlust an Fachkräften, denn das System ist krank nicht die Mitarbeiter“, so Dr. Hermann weiter.

Dabei war das postulierte Ziel der Bundespolitik, die Versorgungsqualität insbesondere in den pflegeintensiven Bereichen anzuheben. Jetzt müssen wir, um die Untergrenzen einzuhalten unter Umständen sogar die Versorgung in anderen Bereichen einschränken, sagt Martin Ködding. Die Fachleute gehen von mindestens 20.000 Pflegenden aus, die im Moment am regulären Arbeitsmarkt fehlen. Und dies ist nicht das Ende der Spirale. Für 2020 sind die Ausweitung der Gesetze auf weitere Bereiche des Krankenhauses bereits beschlossen und 2021 sollen alle Stationen unter diese Personalregelung fallen. Dies ist für viele Krankenhäuser, insbesondere in der Notfallversorgung, eine unlösbare Aufgabe, die wir ohne massive und vor allem schnelle Unterstützung der Landes- und Bundespolitik nicht werden bewältigen können, so Geschäftsführer Ködding.

Auf die Attraktivität der Pflegeberufe wirken sich die Personaluntergrenzen ebenfalls negativ aus. Kliniken müssen die Personalbesetzung auf den Stationen jetzt tagesaktuell nach den Patientenzahlen steuern. Dies kann zu kurzfristigen Änderungen von Dienstplänen führen und einen Anstieg der Mehrarbeitsstunden zur Folge haben.

Auch Angesichts des von Patient zu Patient variierenden Pflegeaufwands sind starre Personaluntergrenzen nicht das geeignete Instrument den tatsächlichen Pflegebedarf angemessen zu berücksichtigen. Was bislang fehlt, sind realistische und kurzfristig umsetzbare Konzepte, wie man dem bereits jetzt schon gravierenden Fachkräftemangel entgegenwirken will. Man kann so viel Grenzen festlegen wie man will, wenn es keine Pflegekräfte gibt, greifen alle Maßnahmen buchstäblich ins Leere, sagt Pflegedirektor Michael Gottbehüt.

Mit Blick auf die häufig zitierte Studie der Bertelsmann-Stiftung, zur Überversorgung  in Deutschland ist eine Veränderung des Systems dringend notwendig, jedoch kann das versäumte Handeln der Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnte nicht in einem unstrukturierten Aktionismus aufgeholt werden, so Martin Ködding. Dr. Hermann fügt an: "Ein darwinistischer Verdrängungswettbewerb mit dem Ziel Krankenhäuser zu schließen wird am Ende auf den Rücken der Patienten und Mitarbeiter ausgetragen. Wenn wir Fachabteilungen nach deren wirtschaftlichen Bedeutung bewerten müssen, kann das nicht unser Anspruch sein in einem Sozialstaat. Bereits in diesem Jahr geht der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß davon aus, dass 50% der deutschen Krankenhäuser ein Defizit, teilweise in bedenklicher Millionenhöhe ausweisen werden.“

„Die Landespolitik muss zudem ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Es ist gesetzlich geregelt, dass die notwendigen Investitionskosten in Krankenhäusern vollständig durch die Länder finanziert werden müssen. Realität ist aber, dass Kliniken Kredite aufnehmen müssen, um dem rasanten Fortschritt in Bau, Medizintechnik und IT Rechnung zu tragen. Die Eigentümer wie Landkreise oder Städte, müssen einspringen um das dringlichste zu ermöglichen.  In Hessen fehlen den Kliniken jedes Jahr 180 Mio. Euro, und das schon seit Jahren. Dies belastet uns schwer, denn wir müssen diese Gelder erwirtschaften und die Kredite abbezahlen und das über Jahrzehnte“, so Martin Ködding.

Beide Geschäftsführer sehen Handlungsbedarf in unserem Gesundheitssystem doch eine Veränderung braucht Zeit, einen Plan und auch die Mittel diesen umzusetzen. Dies alles ist im Moment nicht vorhanden. Vielmehr steuern wir auf eine unkontrollierte, ungeplante und risikoreiche Veränderung zu und das gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Gesundheit. Das ist aus der Sicht aller Mitarbeiter und Patienten scharf zu kritisieren. 

In der Zusammenfassung sind sich beide Geschäftsführer einig: „Um das schlimmste zu vermeiden und handlungsfähig zu bleiben, stellen wir im Moment jede Entscheidung auf den Prüfstand. Als Management sind wir gefordert, alle Optionen gemeinsam mit unserem Träger neu zu bewerten und Entscheidungen zu treffen, welche eine zukunftsfähige Versorgung für die Patienten und Mitarbeiter ermöglichen. Eine gute Gesundheitsversorgung muss auch für eine ländliche Region möglich sein, denn sonst droht auch in der Gesundheit das, was wir in der mangelhaften Mobilfunkstruktur schon lange erleben müssen, nämlich dramatische Versorgungslücken.“

Hier finden Sie den Bericht aus Osthessen-News vom 15.12.2019