Begleiter auf letztem Weg

Er trägt den Frieden in seinem Namen. Er kümmert sich um die, die nach langem Leiden oder plötzlich und unerwartet Frieden gefunden haben. Und um die, die nach dem Tod eines ihnen nahestehenden Menschen Frieden suchen.

Wilfried Quanz-Iraki ist im Klinikum Bad Hersfeld derjenige, der fast jeden Arbeitstag mit dem Tod konfrontiert wird. Über 500 mal im Jahr. Als Desinfektor obliegt ihm seit über 28 Jahren die Aufgabe, Verstorbene im Krankenbett von der Station zur Prosektur im Untergeschoss des Klinikums zu bringen, in eine Metallwanne umzubetten und in einer der drei Kühlkammern aufzubewahren. Dann ruft ihn meistens ein Bestatter oder ein Angehöriger an und verabredet mit ihm, wann Familie und Freunde vom Verstorbenen Abschied nehmen wollen. Nicht jeder äußert diesen Wunsch. Für viele jedoch ist es die letzte Möglichkeit, den Verstorbenen ein letztes Mal zu sehen oder zumindest in seiner körperlichen Nähe zu sein.

Rituelle Waschung
Ehe der Verstorbene im Vorraum der Prosektur, der als Aussegnungsraum dient, im Sarg aufgebahrt wird, wäscht Quanz-Iraki ihn. Im Anschluss zieht er ihm „sein letztes Hemd“ und – sofern ihm entsprechende Sachen zur Verfügung stehen – weitere persönliche Bekleidungsstücke an. Bei Muslimen ist die Waschung eine heilige Handlung, die in Gegenwart eines Imams von eigens dafür anreisenden Wäschern oder Wäscherinnen vorgenommen wird, und an deren Ende nach Beweihräucherung und Beölung das Einwickeln des Toten in ein bis zu zehn Meter langes Tuch steht. Bei Juden gilt ebenfalls ein besonderes Ritual.

Mehrzahl nimmt Abschied
„Es ist schon so, dass die Mehrzahl der Angehörigen noch einmal nach dem Toten schaut. Das ist in einer Zeit, in der sich unsere Gesellschaft zu einer den Tod ausblendenden Wegwerfgesellschaft entwickelt hat, einer der Schlusspunkte, die zur Trauer dazugehören.“ Über seine Aufgabe sagt der meistens über seine tief sitzende Lesebrille Hinwegschauende, der immer wieder mit einem schnellen ersten Blick einschätzen muss, was Trauernde von ihm erwarten: „Man muss sehr feinfühlig sein, man darf aber auch nicht zu dünnhäutig sein.“
Und über sich selbst sagt er: „Man hat eine andere Einstellung zum Leben und ist sich bewusst, dass die Zahl der Lebensjahre begrenzt ist.“

Fest der Auferstehung
Für Wilfried Quanz-Iraki ist klar, dass Jesus Christus für ihn am Kreuz gestorben ist, und dass Ostern das Fest der Auferstehung ist. Auf die arbeitet er hin, indem er den Menschen auch über seine eigentliche Dienstzeit oder am Wochenende dient: „Das Sterben richtet sich nicht nach dem Feierabend. Man muss sein Möglichstes tun, damit man ein gutes Gewissen hat, wenn man eines Tages Rechenschaft ablegen muss.“

Hintergrund

Dienstanweisung regelt Pflichten
In einer Dienstanweisung ist genau geregelt, was ein Desinfektor zu beachten hat. Vornehmste Pflicht ist es, jedem Toten die erforderliche Ehrfurcht entgegenzubringen. Die Kühlräume, in denen der Tote aufbewahrt wird, sind stets verschlossen zu halten. Wertgegenstände des Toten, die nicht registriert sind, sind in Gegenwart von Zeugen zu registrieren und an der Kasse abzuliefern. Sonstiges persönliches Eigentum ist ebenfalls zu registrieren und gut gekennzeichnet in einem Plastiksack aufzubewahren.
Der Desinfektor oder bei Abwesenheit sein ständiger Vertreter beziehungsweise der diensthabende Pfleger dürfen den Toten nur gegen Vorlage der Sterbeurkunde und nach Überprüfung der Personalien an Bedienstete eines Bestattungsinstitut herausgeben. Diese dürfen die Prosektur (Leichenhalle) nur in Gegenwart des diensthabenden Desinfektors oder Pflegers betreten. Angehörige des Verstorbenen dürfen nur den Aufbewahrungsraum (Aussegnungsraum) der Prosektur betreten.

Zur Person

WILFRIED QUANZ-IRAKI wurde am 3. Januar 1954 als drittes Kind seiner Mutter Maria Quanz in Bad Hersfeld geboren. Er wuchs als „Schlüsselkind“ auf. Seinen Vater, der die Familie verlassen hatte, hat er nur dreimal in seinem Leben gesehen. Gerne wäre er von der Lingg-Schule aufs Gymnasium gegangen und Pfarrer geworden, aber die sehr beengten finanziellen Verhältnisse der Familie ließen das nicht zu. 1970 erlebte er den Tod seiner nur 22 Jahre alt gewordenen, schwerkranken Schwester, 1996 den Tod seines nur 56 Jahre alt gewordenen Bruders. Nach einer Elektroinstallationslehre und Stationen als Arbeiter und Kellner ist er seit 1979 im Klinikum Bad Hersfeld tätig. Zunächst im Hol- und Bringedienst beschäftigt, legte er 1987 die Prüfung zum staatlich geprüften Desinfektor ab. Nach einer ersten, längeren Beziehung lebt er seit vielen Jahren mit einem Lebensgefährten zusammen, mit dem er seit 2005 verpartnert ist und mit dem zusammen er für dessen Kind sorgt. (apl)

pdf Artikel aus der Hersfelder-Zeitung vom 24.03.2016