10 Jahre Palliativversorgung

24 Stunden am Tag für Todkranke im Einsatz
Zuhause sterben: Das wünschen sich die meisten Menschen an ihrem Lebensende. Seit zehn Jahren ist das Palliativ-Team Waldhessen täglich rund um die Uhr im Einsatz, um Menschen an ihrem Lebensende angemessen zu begleiten. Mehr als 300 Patienten pro Jahr werden auf der Station am Klinikum Bad Hersfeld und ambulant versorgt. Das Ziel des Klinikaufenthalts ist in der Regel, die Menschen so zu stabilisieren, dass sie nach Hause können. Um die Patienten kümmern sich 14 Pflegekräfte auf 8,5 Stellen und vier Ärzte auf 3,5 Stellen.

„Die meisten Patienten verlassen die Station lebend“, sagt Stationsleiterin Irmgard Schreiter. Zuhause werden sie dann vom ambulanten Palliativ-Team versorgt. In Krisensituationen, zum Beispiel bei starken Schmerzen, Übelkeit oder Luftnot, kann jederzeit die fachkundige Hilfe gerufen werden. Dafür gibt es eine 24-Stunden-Rufbereitschaft. „Wir sind kein Pflegedienst“, betont Krankenschwester Kathrin Wagner. Der Bereitschaftsdienst sei eine Ergänzung zur Betreuung durch die Pfleger. Für die Angehörigen ist das eine große Erleichterung, sagt Klinikseelsorgerin Elke Henning. Die Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und dem stationären Team hat sich bewährt, sagt Dr. Ulrike Mäthrich, Leiterin der Abteilung für Palliativmedizin am Klinikum. „80 Prozent der Patienten können zuhause bleiben“, so Mäthrich. Da die Ärzte sowohl für die Station als auch im ambulanten Team tätig seien, gebe es viel Kontinuität – was nicht nur für die schwer kranken Patienten, sondern auch ihre Angehörigen wichtig ist. Die Dauer der Betreuung sei unterschiedlich lang und kann von wenigen Stunden bis zu acht Wochen dauern. Durchschnittlich werden die Patienten zweieinhalb Wochen vom Palliativ-Team betreut.

Als die Palliativ-Versorgung im Kreis Hersfeld-Rotenburg mit der engen Verzahnung von stationärer und ambulanter Versorgung vor zehn Jahren eingerichtet wurde, war der Landkreis damit sehr früh dran, erinnert sich Dr. Ulrike Mäthrich, die zu den Pionierinnen der Palliativ-Versorgung im Kreis gehört. So früh, dass die Finanzierung noch nicht geklärt war. Das hat sich inzwischen geändert. Die Palliativ-Versorgung sei jetzt ein fester Teil des Gesundheitssystems, auf den Patienten einen Anspruch hätten. Das sei ein großer Vorteil, bringe aber auch Risiken mit sich. Denn die Krankenkassen fragten nach messbaren Erfolgen. Und die seien auf einer Palliativstation nicht so einfach vorzuweisen, erklärt Mäthrich. Die Frage, ob Sterben heute messbar sein müsse, war auch eines der Themen bei dem Symposium, das aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Palliativ-Station stattfand. Auf der Station sollen sich übrigens nicht nur die Patienten selbst, sondern auch Angehörige wohlfühlen. Deren Begleitung ist für das Palliativ-Team eine Herzenssache. „Wir wollen das Schwere leichter machen“, formuliert es Psychoonkologin Margarete Temme. Ihre Aufgabe ist es, aufmerksam zu sein für die Situation von Patienten und Angehörigen. Sie hört zu, ist einfach da, ermutigt dazu, kreativ zu sein oder Gefühle in Worte zu fassen, die sich nicht so einfach fassen lassen. „Das Zeithaben schätzen ganz viele Patienten“, erfährt Klinikseelsorgerin Elke Henning immer wieder. Die Zeit auf der Palliativ-Station sei ein wenig wie gemeinsam leben. „Die Patienten fühlen sich als Person angenommen. Die Station gibt ihnen Sicherheit und Geborgenheit“, ergänzt Stationsleiterin Irmgard Schreiter. Das Wesentliche der Arbeit sei, eine persönliche Beziehung zu jedem Menschen zu finden, erläutert Ulrike Mäthrich. Dabei ist ihr und allen Kollegen sehr wohl bewusst, dass es nicht möglich ist, diese Qualität ohne Schmerz zu haben. Immer wieder Abschied nehmen zu müssen, die Trauer der Angehörigen mitzuerleben, das sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Palliativ-Teams herausfordernde Erfahrungen. Nicht alle halten das längerfristig aus. Durch Gespräche im Team oder Supervision versuchen die Teammitglieder mit ihrer eigenen Trauer umzugehen. Vielen helfen eigene religiöse Überzeugungen. „Ich sehe mich ein Stück weit als Hebamme. Ich helfe Menschen auf die andere Seite“, sagt Nanette Petersen und Elke Henning sieht die Patienten oft als Lehrer: „Ich bekomme ganz viel geschenkt. Hier darf ich einfach sein.“ Doch es gibt auch noch viel zu tun. „Palliativmedizin war für uns von Anfang an eine Vision. Wir hatten die Hoffnung, dass die Art, wie wir mit Menschen, die leiden und in Not sind, umgehen möchten, auf andere Stationen, auf den Medizinbetrieb ausstrahlt, dass Strukturen sich ändern“, sagt Margarete Temme. Das sei noch lange nicht erreicht. Vielmehr sehen die Mitarbeiterinnen des Palliativ-Teams sich als Teil des Systems auch Druck ausgesetzt und wünschen sich mitunter mehr Wertschätzung.

Hintergrund

Die Schmerzen und Beschwerden lindern
Die Palliativversorgung (englisch Palliative Care) ist ein umfassendes Konzept zur Beratung, Begleitung und Versorgung schwerkranker Menschen jeden Alters, deren Grunderkrankung nicht zu heilen ist. Die Schmerzen und Beschwerden einer Krankheit werden dabei gelindert, die Ursachen jedoch nicht bekämpft. Palliare ist ein lateinisches Wort und bedeutet „mit einem Mantel bedecken“. Die palliative Versorgung wird in interdisziplinärer Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen und mit Unterstützung ehrenamtlicher Helfer umgesetzt. Zu ihr gehört neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung auch die psychosoziale Begleitung der Patienten. Ziel ist es, unerwünschte und unnötige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden. Patienten sollen die verbleibende Lebenszeit mit möglichst hoher Lebensqualität verbringen. (zac)

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 01.12.2018